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Berichte und Kritiken.
führung, in höchst überwiegendem Maasse starr und geistlos, nur eine
handwerksmässige Wiederholung der eben gültigen kunsthistorischen 'l'ypen-
Nur in der Zeichnung einiger wenigen von diesen Denkmälern giebt sich
ein minder befangener, ein frischerer, mehr individueller Zug zu erkennen-
Schuld des Zeichners und Holzschneiders scheinen diese Mängel durchaus
nicht zu sein; dafür sind die vorliegenden Blätter überall, bis in die ge-
ringsten Kleinigkeiten hinein, viel zu stylmässig gehalten viel zu frei von
aller modernen Laune oder Nachlässigkeit. Für den ersten Augenblick ist
es auffallend, dass diese aus einem Zeitraume von mehr als zwei Jahrhun-
derten herrührenden Denkmäler, bei der grösseren und geringeren Rohheit
des künstlerischen Gefühls, die ihnen zu Grunde liegt, zugleich eine ste-
hende Verwandtschaft des künstlerischen Styles haben: es ist der germa-
nische Styl, nach dessen Gesetzen sich hier die Linienführung bewegt, wie
in der frühern Zeit des vierzehnten Jahrhunderts, so noch tief in das sech-
zehnte hinein; nur in einzelnen untergeordneten Motiven macht sich hier
und dort, etwa von der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ab, der neue,
durch die Eycks begründete und durch ihre Schule verbreitete Styl bemerk-
lich. Aber auch dies ist wiederum nur ein Zcugniss des handwerklichen
Geistes, der, eigner Schöpferkraft ermangelnd, sich nicht anders als in dem
einmal vorgezeichneten Gleise zu bewegen vermochte. Es ist dieselbe Be-
merkung, die ich anderswo auch für die Technik der Modelle, nach denen
die deutschen Bronzegiesser des fünfzehnten Jahrhunderts arbeiteten, gemacht
habe, eine Technik, welche-es Peter Vischer vergönnte, gelegentlich unmit-
telbar wieder an die Traditionen des germanischen Styles anzuknüpfen.
Eins der Blätter des englischen Werkes enthält die Nachbildung eines,
gegenwärtig in Privatbesitz befindlichen Fragrnentes einer niederländischen
Bronzeplatte aus dem vierzehnten Jahrhundert. Die hierauf gravirte Zeich-
nung entspricht dem Besten, was wir an gleichzeitiger deutscher Kunst die-
ser Gattung kennen, und bezeichnet ebenso augenscheinlich den niedrigen
Standpunkt der Kunst in den englischen Denkmälern, wie die Treue der
vorliegenden Nachbildungen,
Mannigfachste Belehrung übrigens gewähren diese für die Geschichte
des Kostüms, zu welchem Behuf, so wie für die Personalgeschichte Eng-
lands, das Werk auch vorzugsweise zusammengestellt zu sein scheint. Mit
grösster Sorgfalt sind überall die Einzelheiten des Kostüms, sei es an
Geistlichen oder an Rittern, bürgerlichen Personen und Frauen, behandelt
und im Text erläutert. Die Haltung der dargestellten Personen ist die-
selbe, die sonst an den plastisch erhabenen Grabsteingebilden üblich ist.
Mehrfach, wie schon angedeutet, kommen auch Halbfiguren, in der Mitte
des Körpers quer durchgeschnitten, vor. In einzelnen Fällen sieht man
statt der figürlichen Darstellungen die eines Kreuzes, mehr oder weniger
reich ornamentirt. Auch erweitert sich das Kreuz in seinem obern Theil
gelegentlich zur gothischen Rosette, in welcher sodann die Iigürliche Dar-
Stellung enthalten ist, oder es erscheint die letztere in einer Art von Hei-
ligenhäuschell, das auf einem schlanken Schafte ruht. Eine Darstellung
ist der eines mittelalterlichen Siegels ähnlich. U. s. w.