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und
Berichte
Kritiken.
auch zu dem ihrigen gemacht hatten, ist bitter Unrecht geschehen, und
dem Beschauer ist das Band, das ihn mit dem Werke verbinden soll,
zerrissen und seine persönliche Theihiahme abgckältet. Wer nicht an
diesem oder an jenem Abschnitt der kunstgeschichtlichen Studien hängen
geblieben ist, wer auf der Höhe der geschichtlichen Anschauung steht und,
weil er ein Herz für die ganze Vergangenheit hat, auch die Gegenwart
fühlt und die Zukunft ahnt, dem gleichen sich die einzelnen Umwandlun-
gen, die die Jahrhunderte mit den einzelnen Denkmälern vorgenommen
haben, zu einer höheren Harmonie aus und sein zur einfachen Natürlich-
keit zurückkehreudes Gefühl wird nicht verletzt, mag auch einer gothischen
Facade ein Portal im Renaissancestyl vorgebaut oder ein romanisches In-
nere mit einer Rococo-Dekoration überzogen sein. Sapienti sat, und
vielleicht ein ander Mal mehr.
Einige
Bedenken
über Raphaels Kreuztragung,
der Schlesinger'schen Kopie.
nach Maassgabe
Kunstblatt
1850, N0.
Der folgende Aufsatz ist, wie das Datum angiebt, schon vor zwei
Jahren geschrieben. Ich hatte ihn für das Stuttgarter Kunstblatt bestimmt,
hatte ihn aber wieder zurückgenommen, da er möglicher Weise zum Streit
Veranlassung geben konnte, ohne doch sofort zu einem die Sache abschlies-
senden Resultat zu führen. Ueberdies war die Zeit von so viel gewichti-
geren Streitfragen bewegt, dass man den Frieden im eignen Hause doppelt
gern bewahrte. Indem ich den Aufsatz jetzt, bei der Eröffnung des neuen
Kunstblattes, wieder zur Hand nehme, will es mich doch bedünken, dass
das darin Angeregte einer anderweiten Beachtung nicht unwerth sei. Möge
die Ketzerei also (wenn, es eine ist) in die Welt hinausgehen! Die Wissen-
schaft will ja den Zweifel, um durch die Kritik zur Wahrheit- oder doch
in die grösstmöglichste Nähe der Wahrheit zu kommen 1).
Berlin, 15. April 1848.
Wir hatten in diesen Wochen politischer und socialer Wirrnisse und
Stürme hier am Ort eine künstlerische Ausstellung, die immerhin geeignet
war, das beschauliche Gemüth aus dem Drange der Gegenwart in den
Kreis idealer, durch ihre historische Abgeschlossenheit zu einer um so
ernsteren Sammlung führender Interessen hinüberzuleiten. Es war eine
f) Eine Bestätigung meiner ketzerischen Ansicht rlndet sich in der neusten
Kritik des Originalgemäldes von Raphael, von dem hier die Rede ist. Auch
H9" V0" Qllßndt, in seinen "Beobachtungen und Phantasien über Menschen,
Natur und Kunst auf einer Reise durch Spanien, Leipzig 1850", die mir so eben
in diß Hände fallen, erklärt sich dahin, dass der Kreuztragung nur eine flüch-
tige Skizze von Raphael zu Grunde liege. Die Ausführung des Bildes schreibt
er jedoch, abweichend von meiner oben ausgeführten Hypothese, dem Fraucesco
Penni zu. (Man vergl. seine Darstellung auf S. 240 ff. des genannten Werkes.)