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Berichte und Kritiken.
geber dem Formenfrühling der mittelalterlichen Kunst nachging, wird auch
hier durch ein jedes Blatt bekundet und theilt sich dem Beschauer unwill-
kürlich mit: es ist der Geist der Romantik in seiner liebenswürdigsten
Erscheinung, der durch das ganze Werk waltet. Gleichgesinnte finden hier
ein Material, überall so ächt, dass sie sich demselben rückhaltslos hingeben
dürfen; die andern, die nicht geradezu zur romantischen Fahne schwören,
finden wenigstens die maunigfaltigste Gelegenheit zum nachdenklichen und
gewiss auch für sie sehr fruchtbaren Studium.
Ueberblicken wir flüchtig den Inhalt des neuen Bandes. so begegnet
uns zunächst wiederum eine Anzahl Blätter, welche den ornamentistischen
Architekturformen des romanischen (byzantinischen) Styles gewidmet sind,
von seiner älteren barock-phantastischen Weise bis zu seiner späteren
mehr gereinigten und maassvolleren Durchbildung. Umfassender sind die
Darstellungen, welche der Zeit des gothischen, und zwar diesmal ziem-
lich ausschliesslich des spätgothischen Styles angehören. Neben mancher-
lei ornamentistischen Einzelheiten, die, zumeist im grösseren Maassstabe
abgebildet, das besondere Formengefüge vortrefflich wiedergeben, wird uns
eine ganze Reihenfolge von verschiedenartig dekorirten Thüren, von Fen-
sterkrönungen, 'l'aufsteinen u. dergl. gegeben. Einzelne Blätter verdienen
besonders hervorgehoben zu werden. Ungemein geschmackvoll sind vier
Blätter mit reichverzierten Buchstaben in vollständig alphabetischer Folge,
die aus spätmittelalterlichen Handschriftblättern entnommen sind. Ein
schöner thronartiger Stuhl, ein merkwürdiger Tisch prägen sich ebenfalls
der Erinnerung ein. Sehr interessant ist ein, vom Herausgeber entdecktes
Plafondgemälde in dem Kaiserzimmer der ehemaligen Reichsveste zu Regens-
burg; es stellt, in kolossalcm Maassstabe, den deutschen Reichsadler dar,
gelb auf schwarzem Grunde, von Ornamenten umgeben. Eine Wandmalerei
im Pfarrhofe St. Lorenz zu Nürnberg enthält phantastisch-abenteuerliche
Schlachtscenen, arabeskenhaft verschlungen; der Herausgeber deutet sie
sinnreich auf die Geschichten des Hussitenkrieges. Sehr dankenswerth ist
die Mittheilung eines überaus reizend componirten Räuchergefasses und
eines ebenso schönen Bischofstabes, beide nach seltenen Kupferblättern von
Martin Schön genau copirt. Auch die Darstellung eines Bogenköchers,
nach dem Köcher, den der Herkules auf dem Dürefschen Bilde zu Nürn-
berg trägt, ist interessant. Umfassendere architektonische Durchbildung
zeigen die beiden prächtigen Brautthüren von St. Lorenz und St. Sebald
zu Nürnberg, die der Herausgeber in ausführlich restaurirter Gestalt vor-
führt. Ihnen schliessen sich der schöne lnnsbrucker Erker, das ngoldne
Dachl", und mehrere Blätter mit alten Theilen der Nürnberger Rathhaus-
Anlage an etc. etc.
Der Herausgeber verheisst seine Ornamentik des Mittelalters so lange
fortzusetzen, als ihm die Vorsehung Leben, Kraft und Gesundheit verleihen
Werdß- Möge uns daher die Freude werden, noch viele Fortsetzungen des
schönen Werkes, dem der Beifall des Publikums gewiss nimmer fehlen
wird, Zu begrüssen! Möge der verehrte Herausgeber mir aber auch hier
zum Schluss eine ziemlich ernsthafte Rüge vergönnen. Der Text ist in
deutscher und französischer Sprache abgefasst, was an sich Niemand übel
deutßll Wird. und um so weniger, als dadurch dem Eintluss des Werkes
und der Anerkennung deutscher Kunstleistungen ein doppelter Spielraum
vermittelt wird. Aber auf dem Titel steht zu oberst, sehr gross
gedruckt: