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Reisßnotizßn
Jahr
VUUI
1845.
Basel.
Der Münster. Sehr räthselhaftes Gebäude. Schwierig ist insbesondre
das Verhältniss der Krypta zum Chor zu erklären; die erstere hat den voll-
ständigen Chor-Umgang und zwischen diesem und demMitteli-aum breite Pfei-
ler, mit Halbsäulen an ihren inneren Seiten. Im Allgemeinen zeigen die alten
Bautheile eine ziemlich barbarische Behandlung romanischer Architektur-
formen, zugleich aber einzelne sehr elegante Details, wie nur in der letz-
ten Entwickelungsperiode des romanischen Styles, und ein Princip der
Bogengliederung, das durchaus nur hieher gehört. Der alte Bau fallt also
gewiss erst in die Uebergangspericde, wenn auch frühere Stücke dabei mit
benutzt sein sollten. Dann der später gothische Ueberbau.
In der Krypta ein sehr merkwürdiges Stein-Relief, sechs Apostel zwi-
schen Arkaden, mit auffallend antikem Sinne behandelt, in der Gewandung
meist grossartig schön, die Füsse mit feinem Verständniss gearbeitet, die
Köpfe roh, doch in entschieden antiker Fassung, die Körperverhältnisse
meist zu gestreckt. Die Säulen der Arkade haben ein roh korinthisches
Kapitäl mit darauf liegendem niedrigem Gebälkstück; die Bögen haben
völlig noch die antike Architrav-Einfassung. Die ganze Arbeit gemahnte
mich mehr an frühchristliche Zeit, als an die späteren Entwickelungen
der Sculptur im 12ten oder l3ten Jahrhundert.
Gemäldesammlung der Bibliothek, mit den reichen Kunst-
schätzen von Holbein's Hand.
Zwei grosse Passionsbilder von H. Holbein d. ä., mir mehr als zwei-
felhaft. Verwandtschaft mit H. Selieutfelin, wenn auch noch etwas streng
und gelegentlich ein alterthiimliches Motiv. Ein ähnliches Bild, angeblich
von H. Holbein d. j., mir ebenso zweifelhaft; mehr entwickelt und freier
in der Richtung des H. Scheuifelin.
Sichere Bilder aus der früheren Zeit H. Holbein's d. j.: Zwei
Schreiber-Aushängeschilder (eigentlich die beiden Seiten ursprünglich ein es
Schildes), eine Schreibstube und eine Art Schulstube darstellend; der Auf-
gabe entsprechend mit leichtsinnige: Flüchtigkeit gemacht. Köpfe von
Adam und Eva (ein Bild), in seiner Richtung, doch noch nicht recht ent-
wickelt. Liegender Christusleichnam (1521), naturalistisch in der Rich-
tung der Zeit; ungeheure Gewalt der Naturbeobachtung; ohne Zweifel nach
einem Gekreuzigten gemalt und dabei freilich mehr auf die Richtigkeit des
Einzelnen, als auf Totalwirkung hingearbeitet. Das Portrait von Boni-
facius Amerbach, leicht, dürerartig, mit bräunlich lasirtem Schatten und
ganz wundervoll in der Auffassung; neben dem Holzschuher von Dürer
vielleicht das schönste Portrait im exclusiv deutschen Charakter. Por-
trait des Erasmus, im Profil; geistreich, aber mehr monoton. Kleines
Medaillon- Portrait desselben, zu Dreivierteln von vorn, höchst trefflich.
Bürgermeister Meyer und Frau, ebenfalls schöne Bilder, etwa schon in der
des Amerbachschen Portraits, doch nicht so geistvoll. (Die Origi-
"allmt 9111er vorhandenen Wiederholung ist zu bezweifeln. Ein Portrait
des Buchdrucker Froben, nicht dokumentirt und durchaus wie von einem
Maler der zweiten Hälfte des löten Jahrhunderts, der sich etwa nach Hol-
bein geblldßt, viel mehr in dem Impasto dieser späteren Zeit.)
Venus und _Amor (1526) und Lais Corinthiaca, mittelkleine Brustbil-
der; jenes Wenlger zusammen und das Gesicht der Venus mit auffallend
leonardeskon Zügßll, dieses freier und im Ganzen von grössercr Haltung.