Etudes sur l'Allemagne.
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grossen Arbeit, welche die Hälfte des zweiten Theiles ausfüllt und die im
Titel genannte Geschichte der deutschen Malerei enthält.
Der Styl des Verfassers ist nicht ohne eigenthümlichen Reiz. Er hat
eine wirksam poetische Darstellungsweise und versteht es, die Gegenstände,
die er verführt wenn auch dämmernd in dem Hauche einer elegischen
oder sentimentalen Stimmung doch anziehend und lebenvoll zu ver-
gegenwärtigen. Seine Schilderungen des Münsters von Freiburg, des einen
Seitenportales am Strassburger Münster, des Thales und der Abtei von
Laach u. s. w. gewähren eine unterhaltende Lectüre. Mit dem äsiheilßtliißn
Standpunkte indess, den der Verfasser da, wo er Eigenes giebi, einnimmt,
können wir uns nicht füvlieli einverstanden erklären' es ist der einer ein-
seitigen Ußberschätzungades Mittelalters, den wir,Deutsche zwar auch
kennen gelernt, als wir zuerst die Entdeckung gemacht hatten, dass das
Mittelalter keineswegs eine Zeit der Barbarei gewesen sei. Die Franzosen
sind uns in diesen romantischen Interessen etwas spät nachgefolgt: wir
wollen hoffen, dass auch bei ihnen sich die Anschauung der vergangenen
Kunstepochen läutern werde. Die vollendete Schönheit der gothischen
Architektur zu würdigen, bedarf es keiner inissgünstigen Seitenblicke auf
die griechische Architektur deren nicht minder vollendete Schönheit nur
einem befangenen Auge unverständlich sein kann.
Mit einer gewissen Entschiedenheit spricht sich der Verfasser über den
historischen Entwickelungsgang der gothischen Architektur aus. Er sucht
die Meinung der deutschen Alterthumsforscher, dass dieser Styl der Bau-
kunst Deutschland eigenthümlich angehöre und somit aussehliesslich als
"deutsch" zu bezeichnen sei, zu widerlegen, und reclamirt im Gegentheil
die Ehre der Erfindung und Ausbildung dieses Styles für Frankreich.
Schwerlich dürfte heutiges Tages sofern es sich überhaupt um kritisches
Urthcil handelt noch Jemand in Deutschland zu finden sein, der jenem
übelverstandenen Patriotismus noch weiter nachhinge; im Gegentheil haben
diejenigen, die sich weiterer Forschung in diesem Gebiete unterzogen, die
grosse und unzweifelhafte Bedeutung, die Frankreich für den Entwicke-
lungsgang der gothischen Architektur hat, auch bei uns anerkangitä Jg, es
fehlt neuerlich selbst nicht an deutschen Forschern, die ganz au er eite
unsres französischen Autors stehen und den wahren Ursprung und die
wahre Blüthe der gotliischen Baukunst nur in Frankreich finden. Es mag
Somit nicht ganz unpassend sein auf die Ansichten des Verfassers über
diesen Gegenstand und auf letzteren selbst etwas näher einzugehen. Ich
binde mich hiebei indess nicht an die Reihenfolge der Gründe, die der
Verfasser verbringt; ich ziehe es vor, diejenigen, die mir als die schwä-
Cheren erscheinen, voranzustellen.
Das Argument, mit dem der Verfasser, am Schlüsse seiner Untersu-
Chungen, alle Widersprüche zu beseitigen sucht, ist philnSflphistf-her Art!
„ieh will es versuchen, unsre Nachbarn mit ihren eigenen Waffen zu schla-
gen". so sagt er. In der Kunst seien zwei verschiedene Tendenzen thätig,
die ldec (la sozf de Fhyini) und die Phantasie; jene sei im Norden, diese
im Süden zu Hause; jene strebe ins Formlose hinaus, diese arbeite auf die
materielle Form hin; Frankreich habe aber die glückliche mittlere geogra-
phische Lage so dass hier aus der Vereinigung beider Tendenzen die
schönsten Resultate für die Kunst hervorgehen cmüssten. Ich will diese
geographische Prädestinationslchre dahin gestellt lassen; nur die Lage der-
Jenigen französischen Monumente, an denen Sißh ein eigenthümlicher go-