Geschichte
der bildenden
Künste.
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nehmlich nur den Schluss des Kapitels aus, der einige schöne Bemerkungen
allgemeinen Inhalts enthält.
Um so trefflicher ist dagegen sogleich das folgende Kapitel, welches
die Plastik der Griechen behandelt. Hier erscheint der Verfasser voll-
ständig in seinem eigenthümlichen Elemente und mit dem Wesen der
Sache, auf die es ankommt, vertraut. Er entwickelt zunächst das Prinzip
der griechischen Sittlichkeit, auf das er schon in dem Eiugangskapitel hin-
gedeutet hatte, und die Um- und Ausbildung der Sittenlehre zur Schön-
heitslehre. Dies führt ihn zu der Ausbildung des Individuellen und zu
der idealen Gestaltung desselben in den Götterbildern; als Grundlage hiezu
werden (im Gegensatz gegen das modern Individuelle) die natürlichen IUn-
terschiede der Geschlechter und die verschiedenartigen Annäherungen der
letzteren zu einander aufgenommen und geistreich durchgeführt. Nähere
Darlegungen über die Eigenthümlichkeiten des griechischen Kunststyles
schliessen sich an. Nicht so vollkommen einverstanden bin ich mit der
Behandlung der griechischen Malerei im vierten Kapitel. Der Verfasser
führt, ohne Zweifel ganz richtig, aus, dass diese Kunst bei den Griechen
ein plastisches Element beibehalten habe, fügt aber hinzu, dass sie dess-
halb ungenügend, hart und kalt erschienen sei Das Letztere ist nicht
eine nothwendige Folgerung aus dem Ersteren. Unbedenklich werden die
Gemälde der Griechen gegen die der Neueren in dem eigentlich Maleri-
schen, dem Helldunkel und Allem was dazu gehört, zurückgestanden ha-
ben; ich kann aber nicht einsehen, wesshalb in einer mehr auf plastische
Wirkung berechneten Malerei nicht auch höchste Befriedigung zu erreichen
uewesen sei. Michel Angeles Deckengemälde in der Sixtina bezeugen das
(zur Genüge. Wir werden also den grossen griechischen Meistern der Ma-
lerei wohl ihren Ruhm lassen müssen. So geht der Verfasser meines Er-
achtens auch zu weit, wenn er den Griechen den Sinn für die Landschaft.
ganz abspricht. Ihr eigenthümliches Element war es gewiss nicht, aber sie
konnten immerhin in einer plastisch gehaltenen Landschaft, nach der Weise
des Nie. Poussiu, Ausgezeichnetes leisten. Neben den vielen kleinen Schmie-
rereien landschaftlicher Ansichten, die man zu Pompeji und Herkulanum
gefunden hat, ünden sich in der That einige Stücke, die der Richtung
Poussins auffallend verwandt sind.
Die Kapitel über den eigentlich geschichtlichen Verlauf der griechi-
schen Kunst enthalten das bekannte Material, in die Hauptperioden bis
auf Solon, Perikles, Alexander und die Unterjochung Griechenlands abge-
theijt, Bei der ersten Periode muss ich das Bedenken aussprechen, dass
sie, so wenig über sie bei unsrer Unkenntniss der altgriechischen Zustände
beizubringen ist. doch zwei höchst verschiedenartige Entwickelungszustände
in sich begreift: den des heroischen Zeitalters, der ohne Zweifel von allem
Folgenden wesentlich verschieden ist, und den der Zeit seit der Einwan-
derung der Dorier. Im Uebrigen werden die Hauptphasen der griechischen
Geschichte, die diesen Ahtheilungen zu Grunde liegen, gut charakterisirt.
Die Würdigung des bildnerischen Styles vor Perikles, die Charakteristik
der parthenouischen Sculpturen, die Schilderung der Gruppe des Laokoon
sind als besonders gediegene Punkte hervorzuheben. Auf die Neuerungen
des pmyklet (S. 281i), sogar mit Bezug auf Phidias, scheint mir der Ver-
fasser ein zu grosses Gewicht zu legen. Dass er (S. 287, Anm.) noch un-
gewiss ist, ob die Niobidengruppe im Florintiner Museum eine COPiC Sei
oder nicht, ist mir etwas befremdlich, da meines Erachtens ein kunstge-