Geschichte
der
bildenden
Künste.
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Rückgehen bis auf die Bedeutung und die Bedingnisse des einzelnen Details
nöthig macht, und die ich somit auch jetzt noch einer günstigeren Zeit
vorbehalten muss.
Die allgemeinen Verdienste des Verfassers machen sich auch bei den
beiden neuen Bänden seines Werkes bemerklich, oder wir gewinnen viel-
mehr durch diesen weiteren Fortschritt des Werkes einen Standpunkt, der
uns jene vollständiger beurtheilen lässt. Es ist die hohe Auffassung der
Kunst in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung, von der das Werk
überall durchdrungen ist. Hierin, also in. dem, was die Hauptaufgabe
seiner Arbeit ausmachte, steht der Verfasser noch durchaus cigenthümlich
da; kein früheres Werk leistet in diesem Betracht etwas Aehnlichcs. In
meinem Handbuch der Kunstgeschichte war allerdings zwar auch ich schon
darauf hingewiesen, eine ähnliche Auffassung zu Grunde zu legen; doch
durfte ich mich, dem Zwecke meines Buches gemäss, durchweg nur auf
kurze Andeutung dieser Beziehungen einlassen. Als einziger Vorgänger für
den Zweck, den Herr Schnaase verfolgte, ist eigentlich nur das Buch
von A. Wendt: „Ueber die Hauptperioden der schönen Kunst, oder die
Kunst im Laufe der Weltgeschichte dargestellt" (1831) anzuführen; aber es
liegt in der Natur der Sache, dass ein Werk von nur 377 nicht grossen
Oktavseiten, das ausser den bildenden Künsten zugleich auch Poesie und
Musik behandelt, eben auch nur sehr allgemeine Andeutungen enthalten
kann, abgesehen davon, dass wir hier, neben manchem unbestreitbar Ver-
dienstlichen, doch auch viel Oberflächliches und Aeusserliches finden
Herr Schnaase hat zuerst mit Gründlichkeit und mit philosophischem Ver--
Ständniss nachgewiesen, wie die jedesmaligen Kunstzustände sich aus der
Weltstellung der einzelnen Völker und aus der Aufgabe, welche denselben
in dem grossen Ganzen der Geschichte des menschlichen Geschlechts zu
Tlieil geworden war, mit innerer "Nothwendigkeit ergeben mussten: _eine
Weise der Darstellung, die allein eine vollkommene Richtigkeit des Urtheils
anbahnt und die nicht blos für die Ilöhenpunkte der Kunstbildung, son-
dern auch für minder erfreuliche Zustände, namentlich wo dieletztern als
nothwendiges Verbindungsglied einer grüsseren Kette aufzufasscnsind, den
angemessensten und zugleich sichersten Maassstab giebt.
Gehen wir nun zur nähern Betrachtung der beiden vorliegenden Bände
über, so finden _wir bei ihnen, wenn auch beiden die oben angedeutete
Auifassungsweise gemeinsam ist, im Uebrigen doch sowohl in der Aufgabe
als in der Behandlung eine sehr bemcrkliche Verschiedenheit. Für den
zweiten Band, die Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen und
Römern, war das, schon vielfach bearbeitete Material im Wesentlichen ge-
geben; stoftlich konnte der Verf. hier also nichts sonderlich Neues bringen.
Für den dritten Band dagegen, die Geschichte der altchristlichen und der
muhamedanischen Kunst, lag keinesweges ein so bequem bereits zuberei-
tetes Material vor; hier galt es, Vieles noch zu sichten und zu ordnen,
Vieles auch wo möglich, was wenigstens die allgemeiner zugänglichen
1) Die Idee des Weudtßschen Werkes, die Verarbeitung der Geschichte der
sämmtlichen bildenden Künste, der Poesie und Musik in ihrem Zusammenhangs
zu einem sich gegenseitig bedingenden Ganzen, ist gewiss eine überaus glück-
liche. Einer gßllüäßndell Lösung dißSer höchst umfassenden Aufgabe können
wir aber erst in der Zukunft entgegen sehen.
Kngler, Kleine Schriflen II. 31