Die Dresdener
Gsmäldegallerie.
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Weise zuweilen absichtlich, in einer Art von Resignation, als Laie gegen-
über; dennoch können auch wir aus seinem Buche Manches lernen, was
uns sehr zum Vortheil gereichen dürfte.
Speziell erfreulich erscheint mir das Buch, neben den allgemeinen
Vorzügen, in Rücksicht auf die Epochen der Kunst, die es, der Beschaffen-
heit der Dresdener Gallerie gemäss, zum Gegenstande der Betrachtung
nimmt. Bekanntlich besitzt diese Gallerie aus den vorbereitenden Ent-
wickelungsepochcn so viel wie Nichts, während der Reichthum ihrer Mei-
sterwerke gerade mit dem Zeitpunkte beginnt, wo das mittelalterliche Streben
sich erfüllt hat, wo die Bande der Tradition und der Convention voll-
ständig abgeworfen werden und wo zugleich die technischen Studien so
weit gediehen sind, dass die Kunst sich nunmehr ganz in eigenthümlicher
Freiheit (zum Guten wie gelegentlich auch zum Bösen) bewegen kann.
Wir haben neuerdings mit dem lange vernachlässigten Studium jener
Entwickelungsepochen so viel zu thun gehabt, dass wir darüber die Zeit
der freien Vollendung und Meisterschaft fast zu wenig im Auge behielten;
bei dem Interesse, das jenes Studium in seinen fortschreitenden Erfolgen
uns abgewann, bei der Theilnahme, die wir dem wunderbaren Wachsthum
der jungen Pflanze IIOiChWCDÜlg schenken mussten, hat es sich zeitenweise
wohl ereignet, dass wir das Werden und das Wollen für bedeutender
hielten, als das fertige Dasein und die gediegene 'l'hat, dass wir bei Dar-
Stellungen, die, mit unvollkommenen Mitteln gearbeitet, auf eine Ausfüllung
ihres nur angedeuteten Inhalts durch eigene, mitproducirende Thätigkeit
im Geiste des Betrachtenden berechnet waren, fast lieber verweilten, als
bei solchen, wo wir uns in gewissem Sinne passiv verhalten mussten und
nur das Gegebene, wie es da war, uns anzueignen hatten. Wir waren
dazu um so leichter verführt worden, als bei jenen unvollkommenen Dar-
stellungen sich die äussere Bedeutsamkeit des Gegenstandes, an die sich
eine beliebige Gedankenverbindung am bequemsten anknüpfen lässt, vor-
zugsweise geltend machte, während es bei den vollendeten Werken nicht
sowohl auf den Gegenstand an sich ankommen kann, als vielmehr auf die
Weise der künstlerischen Vollendung überhaupt, auf die Art, wie das
Unendliche im ländlichen oiicnbar gemacht wird, wie das Leben des Geistes
unmittelbar (und ohne allerhand Zwischenideen) in die Erscheinung tritt.
Dem Bedürfniss, nach all jenen Studien nun auch wieder zu den Zeiten
der vollendeten Kunst zurückzukehren, kommt in der That das Buch von
Mosen in seiner beredten Sprache auf eine schöne Weise entgegen. Es
entwickelt frisch und verständlich, wie die Kunst die Bedingnisse der
Tradition, die, wenn auch glänzenden, so doch immer hemmenden Fesseln,
die ihr für einen, ausserhalb ihrer selbst liegenden Zweck angelegt waren,
abstreifte und sich ihr eigenthümliehes Reich eroberte. Neben den Werken
der genesen Italiener des löten Jahrhunderts sind es also besonders die
der Niederländer des 17ten, die hier wieder zu ihrer gebührenden Ehre
gelangen, nachdem sie, obschon im Kunsthandel immer ansehnlich taxirt,
lll der Literatur geraume Zeit nur etwas stiefmütterlich bedacht waren.
Für die tiefere Auffassung der niederländischen Kunst dieser Zeit kommen
hier fast nur noch die betreiienden Abschnitte in Schnaases Nieder-
ländischen Briefen in Betracht; diese und Mosens Darstellungen geben aber
auch vortreffliche Gesichtspunkte für die Auffassung.
Mit dem Vorstehenden soll übrigens nicht gesagt sein, dass Mosens
Ansichten und Urtheile überall und unbedingt unterschrieben werden