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Berichte und Kritiken.
früh, vornehmlich in Italien, einer nachhaltigen Kunstbetrachtung hinge-
geben hatte. Die Schilderungen der Meisterwerke der Dresdener Gallerie,
welche er uns hier darbietet, sind anziehende, lebenvolle Uebertragungen
in die einfache Sprache des Wortes, gleich werthvoll für die Vorbereitung
zum Besuch der Gallerie wie für die Erinnerung an dieselbe, gleich ge-
schickt, beim Anschauen der Bilder zur Controle der eigenen Auffassung
zu dienen, wie demjenigen, der sie nicht gesehen hat, eine Vorstellung
ihrer Eigenthümlichkeit zu gewähren. Mehr indess noch, wie in-dieser
Uebertragung, zeigt der Verfasser sein dichterisches Verständniss darin,
wie er den Bezug dieser Bilder auf die geistigen Zustände der Zeiten,
denen sie angehören, darzulegen und klar zu machen versteht. „Die könig-
liche Gemäldegallerie in Dresden (so beginnt er seine Einleitung) enthält
in ihren Meisterwerken die vertrautesten und geheimsten Memoiren des
Seelenlebens des löten, 17ten und 18ten Jahrhunderts für den, welcher
Bilderschrift zu lesen versteht." Diese Worte bilden das eigentliche Thema
seines Buches, das er mit Besonnenheit und Umsicht durchführt und dessen
bestätigende Beispiele die Schilderungen des Einzelnen ausmachen.
I-Iiedurch gewinnt das Buch zunächst einen bedeutenden Werth als
Material für die allgemeine Geschichte. Die Historiker haben von den
Monumenten und Dokumenten der Kunst seither nur erst wenig Vortheil
zu ziehen gewusst, und wenn dies ja geschehen ist, so haben sie diese
Erscheinungen in der Regel nur in Anhängen und Extrakapiteln behandelt,
gleichsam als 0b die Kunst nur eben ein zufälliges Beiwerk des Lebens
sei und mit dessen übrigen Erscheinungen und Begebenheiten in gar
keinem innerlich bedingenden Zusammenhangs stehe; genügt es ihnen doch
auch in solchen Fällen zumeist vollkommen, wenn sie nur eine Summe
künstlerischer Leistungen aufzählen können, gleichviel in welcher Art sich
diese Leistungen kund gethan haben. Ranke ist einer der Wenigen, die
unter den übrigen Zeugnissen der Zeit auch auf das lebendige Wort der
Kunst zu lauschen wissen; er hat einen kleinen Kreis solcher Anschauungen
(in seiner Geschichte der Päpste und auch in der deutschen Geschichte
im Reformationszeitalter) vortreiilich zu benutzen gewusst; wie viel
erfolgreicher aber hätte dies sein müssen, wenn ein Mann von seinem
Geiste und seiner weiten Erfahrung tiefer und umfassender auch in dies
Thema eingedrungen wäre! Schlosser hat in seiner Geschichte des
18ten Jahrhunderts durch scharfsinnige Beobachtung der literarischen Inter-
essen dieser Zeit einen fast ganz neuen Bau geschaffen; wie viel bedeut-
samer noch wäre sein Werk geworden, wäre er vermögend gewesen, zu-
gleich auch auf die Kunstleistungen, und zwar in diesem Fall besonders
auf die der Musik, die für die Auffassung des Charakters der neueren
Zeit von so überaus grosser Wichtigkeit ist, die in Mitten der Auflösung
alter Zustände ein neues Lebensprinzip so deutlich erkennen lässt, näher
einzugehen! Den Historikern also möge das kleine Buch Mosens, und
nicht bloss als Hülfsmittel, sondern auch als Beispiel, auf's beste em-
pfohlen sein,
Freilich aber müssen auch wir, von Seiten der Kunstschriftstellerei,
in Demuth bekennen, dass wir den eigentlichen Historikern im Ganzen
IIOCh erst Wenig vorgearbeitet haben. Wir haben die Kunst meist zu ein-
seitig, Zu Wßnig mit Rücksicht auf die allgemeinen Welt- und Völkerver-
hältnisse, unter deren Einfluss ihre Leistungen das Charakteristische Ge-
präge gewonnen, behandelt. Mosen tritt unserer gewöhnlichen Behandlungs-