Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 2)

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Berichte und Kritiken. 
ginn des Neubaues diese Choranlage beabsichtigt und dass zwischen der 
Vollendung des Schiiies und der Aufführung des Chores keine gar lange 
Pause statt gefunden habe. Der Chor hat allerdings zwar einen ganz ab- 
weichenden Styl, den germanischen in seiner ersten Ausbildung; aber wir 
wissen, dass dieser Styl ursprünglich nicht auf deutschem Boden erwachsen 
war, dass man ihn in einem gewissen Maasse der Ausbildung aus Frankreich 
empfing, und dass er nun in Deutschland plötzlich und unvermittelt neben 
die Werke des romanischen Styles trat, in seiner jungfräulichen Frische 
ein neues Leben und Schaffen erweckend und sich rasch zu einem deut- 
schen Architekturstyl umgestaltend. Näher hierauf einzugehen, würde hier 
zu weit führen. Augenscheinlich trat aber mit dem Bau des westlichen 
Chores ein andrer Meister in die Leitung des Naumburger Dombaues ein. 
Die Hinzufügung des abweichenden Neuen brachte, bei dem Ansatz des 
Chores an das Schiii", manche kleine Incongruenzen hervor, die sich aber 
auf diese Weise naturgemäss von selbst erklären und wofür wir keines- 
weges einen Jahrhunderte langen Stillstand der Arbeit anzunehmen brauchen. 
Interessant ist es, dennoch eine Art Uebergang zwischen dem Alten und 
Neuen wahrzunehmen. Das erste Stockwerk des südwestlichen Thurmes 
ist zwar schon mehr germanisch als romanisch gestaltet, aber dennoch sind, 
in der Anordnung und Behandlung des Hauptbogens an demselben, die 
romanischen Reminiscenzen nicht völlig verwischt. Und gerade dasselbe 
Ornament, welches diesen Bogen schmückt, kehrt an dem westlichen Chore 
selbst, in dem Gesims unter seinen Fenstern, wieder. 
Ein noch auffälligeres Beispiel von der unmittelbaren Zusammenstellung 
germanischer und romanischer Formen und zugleich eine neue Bestätigung 
meiner Ansicht über die Bauzeit der älteren Theile des Naumburger Domes 
giebt die Kirche von Freiburg an der Unstrut, wenige Stunden von 
Naumburg, über die, beiläufig bemerkt, gar kein urkundliches Datum vor- 
liegt. (S. Puttrichs Denkmale, lI, Lief. 7 u. 8.) Wir gewahren an den älteren 
Theilen dieser Kirche ganz denselben Styl, wie an den älteren Theilen 
jener, nur noch ein etwas grösseres Streben nach Eleganz und bunter 
Dekoration. Der Naumburger Dom gab ohne Zweifel das Vorbild für die 
Freiburger Kirche, und diese folgte jenem, wie im künstlerischen Style, so 
auch in der Zeit nach. An dem südwestlichen Thurme der letzteren, im 
ersten Stockwerk des Oberbaues, erscheinen aber bereits Fenster von ent- 
schieden germanischer Form, wenn auch noch in deren primitiver Aus- 
bildung, während das zweite Stockwerk wiederum mit Entschiedenheit den 
spätromanischen Formen folgt. Unbedenklich haben wir diesen südwest- 
lichen Thurm als das jüngste Stück der älteren Bautheile zu betrachten, 
aber die Formen des zweiten Stockwerkes bezeugen es, dass er dennoch 
derselben Bauperiode angehört. Die letztere reicht also augenscheinlich 
bis in die Zeit hinab, in welcher in dieser Gegend der germanische Styl 
eingeführt ward; der romanische Baustyl, in dem letzten Stadium seiner 
Entwickelung, war noch in voller Gültigkeit, als der neue Baustyl eintrat 
11115 der Meister, der noch dem ersteren folgte, dennoch nicht umhin konnte, 
dem letzteren bereits seine Huldigung darzubringen. 
Die Kirche von Freiburg gehört mit zu dem Cyklus jener spitzbogig- 
romalllschfän Gebäude aus den mittleren Gegenden von Deutschland, welche 
Herr Lepslus dem 11. Jahrhundert vindicirt. Er hebt besonders noch zwei 
andere von diesen Gebäuden hervor, deren angenommenes Alter er mit 
vorzüglicher Entschiedenheit behauptet. Die eine von diesen ist die Kirche
	        
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