Zur
Geschichte
Mittelalters.
der Miniaturmalerei des
die Absichten des Herausgebers und über die grossartige Ausführung der-
selben zu erhalten.
Das von dem Grafen de Bastard unternommene Werk eröffnet, wie es
mir scheint, für die Geschichte der Kunst eine ganz neue Behandlungs-
weise; es giebt ihr eine Grundlage, durch welche allein dieses Fach der
YVissenschaft in seiner höchsten und wahrsten Bedeutung, in seinem so
unendlich wichtigen Verhältnisse zur Entwickelungsgeschichte des mensch-
lichen Geistes, dem letzten Ziele aller historischen Wissenschaft, her-
gestellt werden kann. Zwar behandelt das genannte Werk, wie oben an-
gedeutet, nur einen einzelnen Abschnitt der Kunstgeschichte, den des Mit-
telaiters; doch ist gerade dieser Theil, was unsere bisherigen Kenntnisse
anbetrifft, so schwierig, so dunkel, so räthselhaft auf der andern Seite
aber, rücksichtlich der mannigfach durch einander spielenden Volksthüm-
lichkeiten, rücksichtlich der verschiedenartigen Weise, wie neue Cultur-
Verhältnisse sich aus denen einer untergegangenen Welt entfalten, von so
eigenthümlicher Bedeutsamkeit, dass gerade durch seine Aufklärung der
Culturgeschichte ein höchst wesentlicher Dienst geleistet wird.
Die Idee des Werkes an sich scheint freilich sehr einfach: es besteht
zunächst eben nur aus einer Reihe bildlicher Darstellungen, Welche die
Kunstwerke verschiedener Völker und Zeiten der genannten Epoche getreu
vergegenwärtigen. Wenn eine solche Weise der Sammlung und Vergegen-
wärtigung schon im Allgemeinen. mannigfaches Interesse darbieten S0 Wird
sie jedoch ihre höhere wissenschaftliche Bedeutung erst durch wissenschaft-
lich begründete Anordnung und Auswahl erhalten können. Eine Auffas-
sung dieser Art tritt aber, nach den zahlreichen Proben zu urtheilen,
durchweg an dem Werke des Grafen dc Bastard hervor. Nicht nur sind
die einzelnen Darstellungen überall den wichtigsten Denkmälern entnom-
men; nicht nur spricht sich an ihnen bestimmt das Allgemeine des histo-
rischen läntwickelungsganges aus; auch die feinsten volksthümlicheu Unter-
schiede treten in ihnen, der gewählten Anordnung gemäss, dem Auge
des Beschauers entgegen, und gerade diesen Punkt mit grosser Schärfe
und Bestimmtheit verfolgt und klar gemacht zu haben, ist, wie es mir
scheint, eines der vorzüglichsten und eigenstcn Verdienste des Heraus-
gebers. WVir sehen in diesen Blättern, wie in einem Spiegel, die charak-
teristischen Eigcnthüinlichkeiten der verschiedenen Völker, welche die neue
Geschichte Europas gegründet haben, vor uns; die Weise, wie sie die Er-
scheinungen des Lebens aufgefasst und sich zu eigen gemacht haben, die
besondere Richtung ihres Gefühles und ihrer Gedanken, tritt uns hier
lebendig und körperlich entgegen. Neben dem bedeutsamen Verharren der
byzantinischen Kunst an entschieden antiker Darstellungsweise (Vornehmlich
bis zum dreizehnten Jahrhundert), machen sich die Eigenthümlißhkßiten
der angelsächsischen, der französischen, der deutschen, der italienischen
Kunst u. s. w. auf's Entschiedenste bemerklich.
Dass der Herausgeber für diesen Zweck nur Handschriftbilder ausge-
wählt hat, ist ihm nicht als eine einseitige, willkürliche Beschränkung an-
zurechnen. Fast im ganzen Laufe des Mittelalters ist, so viel wir irgend
aus den vorhandenen Monumcnten urtheilen können, die bildliche Darstel-
lung auf dem Pergamentblatte, auf der Tafel, an der Kirchenwand dieselbe,
und erst in der späteren Zeit des Mittelalters, wo das Individuum freier
aus den Banden des allgemeinen Volkscharztliters heraustritt, beginnen auch
dem Geiste nach die verschiedenen Weisen künstlerischer Darstellung sich