Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 2)

Titian Vecellius. Das Originalgexnälde befindet sich im königlichen 
Museum zu Berlin. Titian gemalt. Gezeichnet und gestochen von E, 
Mandel, Professor und Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin. 
Berlin 1843. Verlag von L. Sachse und Comp. 
1844, 
(Kunstblatt 
Die Reihenfolge der meisterhaften Kupferstiche nach Künstlerbildnissen, 
die wir in neuerer Zeit erhalten haben, und wohin z. B. Forsterls Raphael, 
Mandels van Dyck u. a. m. gehören, wird durch das vorliegende Blatt 
auf erfreuliche Weise vermehrt. Das Original ist jenes merkwürdige, eigen- 
händige, doch nicht völlig beendete Portrait des Berliner Museums, wel- 
ches den grossen Meister der venetianischen Schule in höherem Alter dar- 
stellt, und in welchem die energische Persönlichkeit des Mannes mit der 
kühnen Vortragsweise so anziehend harmonirt. Mandel hat jedoch nicht 
das ganze Bild, bekanntlich Halbtigur mit Händen, wiedergegeben; um 
dasselbe als Pendant zu den obengenannten Kupferstichen behandeln zu 
können, hat er, ausser dem Kopfe, nur die obere Hälfte der Brust und 
den Ansatz der Schultern in seinen Stich aufgenommen, wodurch er zu- 
gleich die Wiedergabe der nur erst flüchtig angelegten Theile des Origi- 
nales, wie namentlich der Hände, ganz umgehen konnte. Dies Letztere 
hätte natürlich seine grossen Schwierigkeiten gehabt; aber auch wie der 
Kupferstecher seine Aufgabe zu fassen für gut fand, musste sie noch immer 
bedeutende Schwierigkeiten darbieten. Jene kühne Behandlungsweise des 
Originals, in der Vieles, namentlich in den feineren Details des Gesichtes, 
eben nur angedeutet war, konnte überhaupt nicht, am wenigsten in der 
Linearmanier des Kupferstiches, die überall auf ein bestimmtes Ausspre- 
chen bis in das Einzelste herab hindrängt, wiedergegeben werden; der 
Kupferstecher musste allen leisen Nüancen und Effekten des Originales mit 
klarstem Bewusstsein über die Intentionen des Malers nachfolgen und 
dessen Werk für die schärfere und bestimmtere Technik des Stiches förm- 
lich umarbeiten. Die Gefahr, bei dieser Procedur ein Andres zu schaffen 
und die hohen Vorzüge des Originals durch willkürliche Abweichungen 
zu schmälern, lag nahe; doch hat Mandel diese Klippe auf's Glücklichste 
umschifft. Sein Blatt hat das doppelte Interesse, sowohl der treuen Wie- 
dergabe des Tizianischen Bildes als der eben angedeuteten, selbständig 
bewussten und gesetzlich klaren Umarbeitung desselben. Der Stich zeigt 
in der Linienführung den lebendigsten plastischen Sinn, der sich allen Be- 
Wegungen der Form zu fügen weiss, und ebenso, durch sorgfältige Beob- 
achtung der Töne, den gediegensten Sinn für die malerische Wirkung. 
Die Totalwirkung des Blattes ist eben so erfreulich, wie die Beobachtung 
der Einzelheiten den Beschauer unterhält und belehrt. Das Werk ist ein 
neuer Beleg von der Meisterschaft des Kupferstechers, der unbedenklich 
mit den besten seines Faches auf gleicher Linie steht.
	        
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