Geschichte der bildenden
Künste.
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buddhistischen Ost-Asien herleitet, keinesweges beiptiichten kann. Dann
ist zu bemerken, dass die Anordnung dessen, was Hr. S. giebt, die um-
gekehrte der meinigen ist. Er beginnt mit den Indern und schliesst mit
den Aegyptern, während bei mir das Gegentheil stattfindet. Der chaoti-
schen Verworrenheit gegenüber, in welche die indische Kunst versinkt,
erscheint ihm die feststehende Ordnung der Aegyrpter als Zeugniss eines
höheren künstlerischen Vermögens, das zugleich besser zu jener reinen
und unabhängigen Ausbildung der Kunst, die uns bei den Griechen ent-
gegentritt, hinüberleite. Meine Ansicht stimmt hiemit nicht völlig überein;
ich finde, dass die Mängel und die Vorzüge der Kunstweisen beider Völ-
ker sich ziemlich die Wage halten. Mir stehen beide Nationen in Bezug
auf künstlerisches Vermögen ziemlich gleich; der Grund, wesshalb ich die
Inder an den Schluss gestellt, ist zunächst mehr nur ein äusserlicher.
Ihre Kunst und die Verzweigungen derselben im östlichen Asien, Wohin
ich auch die Kunst der Chinesen zähle, reichen bis in die Gegenwart
herab; es sind dies die letzten Ausläufer jener.hochalterthümlichen Kunst-
Weise, die wir eben desshalb, der besseren Uebersichtlichkeit wegen, be-
quemei- an den Schluss setzen. Herr S. ist auf diese Ausläufer wiederum
nicht in gleichem Maasse eingegangen, vielleicht dem Plane seines Werkes
gemäss, der manches Detail wegzuschneiden nöthig machte. Ich möchte
aber selbst hinzusetzen, dass auch ein innerer Grund vorhanden ist, der
meine Anordnung rechtfertigt. Ich sehe in der ursprünglichen Anlage der
indischen Kunst ein frischeres Lebenselement, das sich so paradox es
klingen mag wenigstens darin kund giebt, dass diese Kunst so gewalt-
sam ansarten konnte; Ausartung ist in der That nur die Kehrseite der
Entwickelungsfahigkeit, während jene Starrheit der ägyptischen Kunst,
die sich Jahrtausende hindurch in derselben Weise erhält und den Wechsel
der Zeiten an höchst leisen Fluktuationen des Geschmackes fast nur ahnen
lässt, aller Entwickelungsfähigkeit feindlich im Wege steht. Ueberhaupt,
und aller unverkennbaren Mächtigkeit der ägyptischen Kunst zum Trotz,
ist ihre so oft gepriesene Ordnung schon in ihrem Beginn nur eine me-
chanische.
Die eben besprochenen Unterschiede in der Anordnung des Stoffes
hängen vielleicht mit ziemlich tietliegenden Verschiedenheiten in der Auf-
fassungsweise der künstlerischen Erscheinungen zusammen. Es ist beson-
ders die Auffassung der Architektur, in der ich mit Hrn. S. nicht über-
einstimmen kann. Er erklärt sie in der theoretischen Einleitung seines
Werkes, nachdem er andre, und zwar sehr oberflächliche Theorien mit
vellstem Rechte zurückgewiesen, als „die Darstellung des Schönen in der
unorganischen Natur." Sie mache desshalb "die Gesetze des unorganischen
Körpers" zu den ihrigen. Daher zunächst "die nothwendige Rücksicht auf
Schwere und Cohärenz", deren Gesetz zum Wesen der unorganischen Natur
gehöre und, wenn schon in der organischen Natur ebenfalls vorhanden,
hie; doch durch die inwohnende Lebenskraft aufgehoben sei. Daher in
de; Architektur, im Vergleich zu den andern bildenden Künsten, '„das
niedrigste geistige Princip", nur "das Leben äusserer Ordnung"; daher in
ihr noch „die grobe, schwere, grosse Masse der Wirklichkeit." Es ist in
dieser Ansicht allerdings etwas Richtiges, aber es gilt dasselbe nur von der
niedrigsten Entwickelungsstufe der Architektur, nur da, wo ihr Werk (wie
z. B. in der mexikanischen Kunst, die doch der Verfasser ausgeschlossen hat)
nichts ist als eine mehr oder weniger bestimmt gemessene, eine mehr oder