Ueber
den
Künigsstuhl von
Rhense.
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mittleren Säule, in einem andern sieben Kapitälgesimse, in Kellerpfeiler
vermauert, sowie auch einige sehr einfache Sockel; diese sollen von den
Pfeilern des Königsstuhls herrühren und bei dessen Abbruch an ihre jetzige
Stelle gebracht sein. Die genannten Stücke würden für den Neubau des Denk-
mals von grossem W erthe sein, hätte ihreForm, namentlich die der erwähnten
Kapitälgesimse, nicht etwas sehr Befremdliches. Sie scheinen mehr auf eine
missvcrstandene Nachahmung der Antike zu deuten, als dass sie den aus-
gebildeten gothisehen Formen des vierzehnten Jahrhunderts entsprächen.
Sie könnten also, dem Entwickelungsgange der deutschen Baukunst gemäss.
möglicher Weise an die ältere Bauperiode um das Jahr 1200 erinnern; da
aber, dem Obigen zufolge, nicht anzunehmen ist, dass das Denkmal in S0
früher Zeit entstanden sei, so sieht man sich genöthigt, die genannten Bau-
stüeke einer späteren Zeit, und zwar jener Erneuung des Jahres 1624 zu-
zuschreiben. Es ist somit auf sie bei der jetzigen Wiederherstellung, da
man doch den alten Königsstuhl des vierzehnten Jahrhunderts, und nicht
vdessen Restauration im siebzehnten, im Auge hat, nicht füglich Rück-
Sicht zu nehmen, und dies um so weniger, als ihreBenutzung oder Nach-
bildung zugleich die Anwendung schwerer viereckiger Pfeiler und unge-
gliederter Bögen, die bekanntlich in den Formen der gothischen Archi-
tektur eine sehr unschöne Wirkung machen, mit sich führen würde.
Es ist nach alledem, wie es scheint, unmöglich, ein Facsimile des
alten Denkmals aufzuführen, und es wird die besondere Ausbildung des
neuen abgesehen von jenen allgemeinen Bestimmungen der Anlage
der künstlerischen Phantasie überlassen bleiben. Manch Einer könnte
somit die Ansicht aufstellen, dass unter diesen Verhältnissen der Neubau
überhaupt überflüssig sei. Das möchte indess eine gar engherzige Meinung
sein. Denn nicht um das Detail der Form handelt es sich hier, sondern
um die Bedeutung, welche das Denkmal für seine Zeit hatte und welche
die Erinnerung an dasselbe für unsere Zeit haben soll. Es war der Ort,
der die Häupter Deutschlands zum gemeinsamen Thun vereinigte, der Ort
wo sie die höchsten Angelegenheiten des Vaterlandes beriethen, wo sie
zur Einigung in sich und zur Kräftigung gegen die Anmaassungen fremd-
.herriscl1er Gewalt heilsame Beschlüsse fassten; die Erneunng des Denk-
mals aber soll auch uns ein Zeichen der Einigung, nach innen und gegen
aussen, sein. Für jetzt bleibt uns nur der Wunsch, dass diese Erneuung
in würdiger künstlerischer Gestalt, der höchsten Ausbildung gemäss,
welche die gothische Baukunst im vierzehnten Jahrhundert erreicht hatte,
gcschehc, und dass hinlängliche Mittel zusammentliessen mögen, damit
die zwicfache Bedeutung des Denkmals, für die Vergangenheit und für
die Gegenwart, zugleich in lebendiger Bilderschrift könne ausgesprochen
werden.
Nachträglich.
Der vorstehende Artikel hatte einige Opposition hervorgerufen, und es
fehlte nicht da verschiedenartige Interessen bei der Sache berührt wa-
ren an manchem Widerspruch. Durch freundliche Mittheilungen meines
nunmehr verewigten Freundes, des Bauiuspector von Lassaulx zu Coblenz,
(rrgab sich, dass in der That die Zeichnungen der Kapitäigesirnse, die
ich von andrer Seite empfangen hatte und auf denen meine ketzerisehe
Kritik beruhte, nicht ganz richtig waren. Die ohne Zweifel zuverlässigeren
Zeichnungen, die er mir zusaudte. zeigten Formen, wie sie auch sonst an