Die altchristlichen
Bauwerke von
Ravenna.
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dehnung derselben, sondern auch über den Geist, der sich in ihren Rich-
tungen und Strebungen ausspricht, über das innere Wesen der einfluss-
reichen Cultilrmpmente jener Zeit, mancherlei belehrenden Aufschluss,
So erscheint der altchristliche Basilikenbau, der in Rom zumeist ein rohe-
l-es Gepräge trägt, in Ravenna reiner und gesetzlicher ausgebildet, offenbar
nach den Bestimmungen, die sich für ihn in der neuen Weltstadt, welche das
alte Rom ersetzen sollte, in Constantinopel, gleichzeitig ausgebildet hat-
ten: die Säulen der Basiliken nicht von willkürlich wechselnder Form (wie
in Rom), sondern gleichmässig gebildet, vielleicht von Constantinopel aus
als Fabrikwaare geliefert; die Säulenkapitäle zu Anfang noch viel mehr
griechisch als römisch behandelt, was gewiss auf einer ununterbrochenen,
in Griechenland heimisch gebliebenen Tradition beruht (wie dasselbe auch
an den spät-antiken Monumenten Asiens wahrzunehmen ist), die späte-
ren Kapitäle jedoch in einer mehr phantastischen Umbildung solcher
Form; über den Kapitälen stets ein besonderes Unterlager für den Bogen;
der Bogen selbst zierlich und gesetzmässig eingefasst; die Fensterarchitektur
auf eine grossartige und wirkungsrciche Weise angeordnet (ganz nach dem
Princip der noch antiken Basilika von Trier); u. s. w. So treten uns
ferner die bezeichnendsten Beispiele für die weitergreifende Umbildung
welche die Architektur durch den byzantinischen Kuppelbau erhielt und
die allmählig die ganze Organisation des Gebäudes veränderte, entgegen:
in einfacher Gestalt an dem Kirchlein S. Nazario e Celso, bei dem wir auf
die, noch immer sehr römischen Details aufmerksam gemacht werden; be-
deutsamer schon an dem Baptisterium der Kathedrale, wo im Aeusseren
sogar schon eine Andeutung des Rundbogenfrieses bemerklich wird; auf
die glänzendste Weise sodann an der bekannten Kirche S. Vitale. Die
Kritik des letztgenannten Gebäudes veranlasst den Verf. zugleich näher
auf den byzantinischen Kuppelbau, namentlich auf dic Sophicnkirche und
die Kirche des heil. Sergius zu Konstantinopel, sowie auf die alten Nach-
ahmungen desselben, einzugehen; in letzterem Betracht ist besonders in-
teressant, was er über die Kirche S. Lorenzo zu Mailand mittheilt. So
geht der Verf. auch auf die überaus merkwürdige Erscheinung (auf die der
Unterzeichnete bereits in seinem Handbuch der Kunstgeschichte aufmerk-
sam gemacht hatte) näher ein, dass nämlich das Grabmal des Theodorich
bei Ravenna in seiner Anlage zwar eine entschiedene Nachbildung römi-
scher Monumente, im Detail aber eine Formation erkennen lässt, die mit
der byzantinischen Behandlungsweise nichts gemein hat und vielmehr auf
die charakteristischen Gliederungen des späteren Mittelalters hindeutet;
dass hier somit, an einem der wichtigsten Denkmale aus den Zeiten der
Gothenherrschaft, sich in der 'l'hat schon ein speciell germanischer Formen-
sinn ankündigt. Der Verf. Weist nach, dass dieselbe merkwürdige Er-
scheinung auch an einigen Einzelheiten des Palastes, den Theodorich in
Ravenna erbaute und von dessen Faearle sich ein Theil erhalten hat,
wahrzunehmen iSt-
Es möge an diesen flüchtigen Andeutungen genügen, um das Werk
des Herrn von Quast der Aufmerksamkeit des betheiligten Publikums an-
gßlegcntlichst zu empfehlen. Es braucht dabei wohl kaum bemerkt zu
Werden, dass dasselbe auch für die heutige ausübcnde Architektur, die für
ihr praktisches Interesse die Gesetze des altchristlichen Baustyles, und na-
mentlich des Basilikenbaues, zu durchforschen bemüht ist, den grösSlPH
Werth haben muss.