Alterthümer von J onien.
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Antiquities
of Jonia, published by the society
Part the third. London, 1840.
(Kunstblatt 1842, N0. 76.)
of
dilettanti.
Von dem allgemein bekannten grossartigen Werk der „Alterthümer
von Jonien" ist, nach langer Unterbrechung, kürzlich ein neuer Band, der
dritte, erschienen. Die Ausstattung desselben ist eben so glänzend, wie
die der frühern Theile, und wie wir es überhaupt bei den Werken der
Engländer, welche das classische Alterthum behandeln, gewohnt sind. Die
darin enthaltenen Mittheilungen geben uns manch eine, theils neue, theils
doch erweiterte Anschauung in Bezug auf die Bildung des architektonischen
Geschmacks in den ostgriechischen Landen; sie lassen es namentlich er-
kennen, wie der eigentlich griechische Formensinn, im Gegensatz gegen
den römischen, dort noch bis in die späteste Zeit des classischen Alter-
thums wirksam blieb. Ohne auf die übrigen Erweiterungen der archäolo-
gischen Wissenschaft, zu welchen die in diesem Bande niedergelegten Un-
tersuchungen Anlass geben, näher einzugehen, wollen wir hier nur das
Wichtigste in jenem Bezuge übersichtlich namhaft machen.
Der erste Abschnitt des dritten Bandes ist den Alterthümern der Stadt
Cnidus gewidmet und stellt dieselben auf 33 Kupfertafeln dar. Hier ist
zunächst ein korinthischer Tempel, ein Prostylos Pseudoperipteros, zu be-
merken, der aber, wie die zum Theil schweren Details verrathen, bereits
einer verhältnissmässig spätern Zeit angehört. Der prachtvoll ornamentirte
Fries ist convex gebildet. An den Seitenwänden des Tempels läuft zwi-
schen den Kapitälen ein Akanthusornament hin, welches den Schmuck
der letzteren friesartig fortsetzt. Auf den Tempel folgt der aus zwei
ionischen Säulen in antis bestehende Porticus einer Bäderanlage. Die
Architektur dieses Porticus, der noch aus guter griechischer Zeit her-
rührl, gewährt ein sehr eigenthümliehes Interesse. Die Säulen, zwar
schon mit uncannelirten Schalten, zeichnen sich durch eine tretfliche
ionische Basis aus. Die Anten haben eine attische, in griechisch clas-
sischer Weise proülirte Basis und ein sehr merkwürdiges Kapitäl. Der
Haupttheil des letztern besteht nämlich aus einer {lachen Kehle, die mit
einem ungemein schönen, streng griechischen Ranken- und Blumenwerk
von sehr eigener Composition geschmückt ist; darunter der gewöhnliche
Hals des Antenkapitäls, mit zwei Rosetten verziert. Das Ganze dieser
Kapitälzierde ist von sehr edlem, wohlgefälligem Eindruck und giebt wie-
derum einen charakteristischen Beleg für die freie Beweglichkeit des grie-
(Jhischen Geistes; es bildet das interessanteste Seitenstück zu den bekann-
ten, auch in die heutige Kunst bereits mehrfach über-gegangenen Pilaster-
kapitälen im Tempel des Apollo Didymäus bei Milet. Aehnlich trefflich
ist die aus dem Porticus in die innern Räume führende I-Iauptthür; als
ihr Seitenstück kann nur die, zwar reicher geschmückte Thür desrErech-
lheums auf der athenischen Akropolis angeführt werden. Eins der cni-
dischen Theater ist wegen des erhaltenen Grundbaues des Scenengebäudes
bemerkenswerth. Eine sechssäulige dorische Halle, in welcher die Säu-
len zwar ditriglyphisch stehen, hat im Ganzen noch (was sonst bei den
asiatisch-dorischen Gebäuden selten ist) edle Bildung des Details und be-
sonders der Kapitale. Eine Zwelte ärosse dorische Halle bildet den