Geschichte
Zur
der deutschän Kunst im Mittelalter.
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tauchen sähen, Aber die Beispiele, welche Hr. Lepsius zur Unterstützung
seiner Meinung anführt (und die übrigen, welche ich denselben sonst noch
anzuschliessen wüsste), tragen, ausser dem Vorhandensein des Spitzbogens,
sämmtlich das Gepräge eines bereits sehr entwickelten Styles, des romani-
schen (sogenannt byzantinischen) auf der letzten Stufe seiner Ausbildung,
theils in dem eigenthümlich durchgebildeten Organismus der architektoni-
schen Gliederung, theils in dem feinen Schwunge des Profils der Glieder,
theils in einzelnen Motiven einer schon beginnenden Ausartung u. s. w,
Es ist darin eine Weise der künstlerischen Behandlung, die wir sonst nur
in der Spätzeit des zwölften und mehr noch in den ersten Jahrzehnten des
13ten Jahrhunderts kennen. Die von Hrn. L. namhaft gemachten Bau-
werke sind die älteren Theile der Hauptkirchen von Naumburg, Mem-
leben, Merseburg, Freiburg an der Unstrut, Basel, Nürnberg (St. Sebald)
und Bamberg; seine Untersuchung über die Geschichte dieser Kirchen
kommt im Wesentlichen darauf hinaus: dass über einige von ihnen eine
Anzahl urkundlicher Nachrichten vorliege, aus welchen die angeführte
frühe Gründungszeit der Gebäude hervorgehe, dass sich aber keine Ur-
kunde finde, die von einem Neubau in der Periode um das Jahr 1200
Spreche, dass somit ein solcher nicht könne stattgefunden haben. Neben
diesem, für historische Kritik (nicht Hyperkritik) doch wohl nicht ganz zu-
reichenden Beweise, werden nur noch einige Gründe für das angenommene
höhere Alter der älteren Theile des Domes von Naumburg vorgelegt; die
letzteren betreffen das Schiff sammt den Thürmen und der Krypta, die
jenen spätromanischen Baustyl mit Anwendung des Spitzbogens haben
(doch hat ein Theil der Krypta, was Hr. L. übersehen, noch das Gepräge
eines ungleich mehr alterthümlichen Styles), während der westliche Chor
frühgothisch und der östliche Chor spätgothisch erscheinen. Hr. L. be-
merkt zunächst, es sei ein unerhörter Fall, dass man, wenn der alte (ver-
muthlich im Anfange des elften Jahrhunderts gegründete) Dom wirklich
umgebaut worden, keine Mauer davon habe verwenden können; obgleich
man, nach meiner Ansicht, ganz wohl die verschiedenartigsten Gründe
ersinnen kann, wesshalb dies nicht geschehen. Sodann sei es vorzüglich
wichtig, dass man in dem, um die Mitte des 13ten Jahrhunderte gebauten
Weslchore die Statuen der Stifter und Wohlthäter der Kirche, welche im
elften Jahrhundert gelebt, finde und dass diese in einer Urkunde vom Jahr
1249 den Zeitgenossen als Vorbilder, zur Förderung des Baues, seien vor-
gehalten worden; während man doch erwarten" müsse, dass auch den Er-
bauern des neuen KirchenschiiTes, falls von einem solchen" die Rede sein
könne, ein gleichzeitiges Ehrengedächtniss nicht versagt sein würde. Das
klingt bedenklich genug; nehmen wir aber die Urkunde selbst 1) zur Hand,
so stellt sich die Sache doch etwas anders. Es ist ein oliener Brief des
Bischofs Dietrich IL, in welchem es ausdrücklich heisst: wie die ersten
Gründer der Kirche (deren Namen Sodann folgen) durch die erste Grün-
dung sich das grösste Verdienst bei Gott und Vergebung der Sünden er-
worben hätten, so sei es bekannt, dass sich auch die Nachkommen durch
reichliche Almosen bei der Erbauung der Kirche verdient gemacht hätten;
er (der Bischof) wünsche nun aber die Vollendung des ganzen Werkes zu
beginnen und verspreche deßshalb, wie der todten, so auch der noch
1) Abgedruckt in der Schrift:
111 Naumburg, von G, P. Lepsius.
Ueber das Alterthnm und die Stifter des DOIIIS
Naumburg, 1822. Beilage, No. VIII.