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Berichte und Kritiken.
sondern, der leichtern Uebersiehtlichkeit wegen, in ihrer historischen Folge.
Als das älteste und in diesem Betracht als ein überaus wichtiges Denk-
mal für die Geschichte der deutschen Kunst ist die Stiftskirche von (iern-
rode zu nennen, welche im J. 960 gegründet wurde, und welche in ihren
sämmtlichen Haupttheilen unbedenklich als der aus dieser Zeit herrüh-
rende somit nächst der unter Karl (l. Gr. gebauten Münsterkirche in
Aachen als der älteste uns bekannte Bau von Bedeutung in Deutschland
zu betrachten ist. Der Unterzeichncte hat zuerst von dieser Kirche und
von den in ihr enthaltenen, nicht minder merkwürdigen Denkmälern in der
von ihm und E. F. Ranke verfassten "Beschreibung und Geschichte der Schloss-
kirche zu Quedlinburg" etc. (K1. Sehr. I, S. 600) nähere Nachricht gegeben;
Herr Puttrich hat indess Gelegenheit gehabt, die Kirche vollständiger zu
untersuchen und namentlich das verbaute Innere einigermaassen aufräumen zu
lassen, so dass seine Mittheilungen, unterstützt durch zehn Blätter mit
bildlichen Darstellungen, ein sehr umfassendes Bild gewähren. Die Kirche
ist eine Basilika, bei der, in den Arkaden des Schiffes, Pfeiler mit Säulen
wechseln; über dem ursprünglichen Vorraum der lrVestseite war eine Em-
pore (wie gewöhnlich in den sächsischen Basiliken) eingerichtet; Gallerien,
nach dem freien Raume des Mittelschitls sich ölfnend, gegenwärtig aber
verrnauert, liefen über den Seitcnschiflen hin. Solche Gallerien sind bisher
in den alten deutschen Basiliken nicht gefunden werden. Ich habe bereits
in meinem Handbuch der Kunstgeschichte bemerkt, dass die Einführung
der Gallerien in den alten christlichen Kirchenbau ohne Zweifel als ein
Ergebniss der eigentlich byzantinischen (der in Constantinopel ausgebilde-
ten) Architektur zu betrachten ist; auch hier möchte ich die Erscheinung
derselben aus einer direct byzantinischen Einwirkung erklären, und dies
um so mehr, als ich in den ältesten Theilen der Kirche auch noch ander-
weitig byzantinisches Element zu finden meine. Die Kapitale der Säulen
in den Arkaden des Schiffes zeichnen sich nämlich durch eine ganz eigen-
thümliehe Behandlung ihres Blätterschmucks aus; es ist darin in der That
etwas von lokal-byzantinischer Formenweise, während die Behandlung de;
Säulenkapitäle in der benachbarten und etwa um funfzig Jahre jüngeren
Schlosskirche zu Quedlinburg wesentlich verschieden ist, indem diese
theils mehr Nachahmung der römischen Form, theils eine selbständig rohe,
nationell deutsche Ornamentik zeigen. Jene byzantinischen Elemente, falls
ich mich in ihrem Vorhandensein nicht irre, sind aber für die deutsche
Kunstgeschichte insofern beachtcnswerth, als man in der spätem Zeit des
zehnten Jahrhunderts sehr häulig zwar in der Malerei (in den Miniaturen),
in der Architektur seither aber noch gar nicht den Einfluss byzantinischer
Kultur hat nachweisen können. In den Flügeln des Querschiiles finden
sich besondere kleine Krypten, deren Fussboden mit dem der übrigen
Kirche in gleicher Höhe liegt; eine dritte, niedrigere, in dem über das
Querschitf hinaustretendcn östlichen Chorraume. Der Herausgeber hält
diese Einrichtung, der von mir früher ausgesprochenen Meinung opponi-
rend, für ursprünglich; er möge mir indess freundlichst verzeihen, wenn
ich mich dennoch zu seiner Ansicht nicht bekehre. im Gegentheil scheint
mir die Krypta des Chors, die er als den allerältesten Bautheil betrachtet,
sehr jung; die Fuss- und Deckgesimse der Pfeiler in derselben haben
nämlich Profilirllngen, die, so einfach sie sind, dennoch viel mehr an die
Formen der spätestgothischen als der frühestromanischen Architektur er-
innern. Auch die Krypten in den Flügeln des Querschitfes, wenigstens diß