Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 2)

Reisenotizen 
VOID 
1840. 
Altarwerke 
Halle. 
Engelgestalten. Unterwärts zur Linken kniet anbetend, wiederum überle- 
bensgross, der berühmte Kardinal Albrecht von Brandenburg, Kurfürst von 
Mainz etc. Die Flügelbilder, die das Mittelbild einschliessen und mit de- 
nen zusammen jenes erst als ein Ganzes erscheint. enthalten ein jeder die 
gleichfalls colossale Gestalt eines ritterlichen Heiligen, in siegreich fort- 
schreitender Stellung, eine aufgerollte Fahne tragend; der zur Linken, in 
Yeichgeschmütßkter Rüstung, ist der heil. Mauritius; der zur Rechten, der 
einem zu Boden geworfenen Kaiser (einem der Christenverfolger) den Fuss 
auf die Brust setzt, scheint den h. Georg vorzustellen. Die Gestalten stehen 
in erhabener, feierlicher Ruhe da; Maria erscheint wahrhaft als Königin 
des Himmels; und der goldne Grund dient sehr entschieden, sie auch in 
Weiter Ferne dem Auge bedeutsam entgegenzuführen. Formen und Behand- 
lungsweise sind zwar überall die des genannten Meisters, doch erscheinen 
sie hier durchaus in würdigster Fassung. Unter dem Mittelbilde findet 
sich ein hohes Untersatzbild, welches eine Reihe von Halbfiguren, etwas 
unter Lebensgrösse, enthält: Maria mit dem Kinde und die vierzehn Noth- 
helfer; im Gegensatz gegen die Majestät der Hauptbilder entwickelt sich 
hier die ganze, dem Cranach eigenthümliche Anmuth. Uebrigens sind ge- 
genwärtig von den Flügelbildern des Altarwerkes nur jene, eben bespro- 
chenen inneren Seiten sichtbar; der Dreyhauptlschen Chronik zufolge aber 
Waren die Flügelbilder dreidoppelt und auf jeder Seite bemalt. Einen der 
äusseren Flügel sah ich in der Sakristei zurückgestellt; er enthält die, wie- 
derum überlebensgrosse Gestalt des Engels, welcher der (auf dem corres- 
pondirenden Flügelbilden zu suchende) h. Jungfrau den himmlischen Gruss 
bringt 1].  Die Kirche, in der sich das grosse Werk befindet, verdankt, 
wie das Gemälde, ihre Entstehung dem lebendigen Kunstsinn des Kardinals 
Albrecht; sie wurde im J. 1529 erbaut und bildet eins der würdigsten und 
lautersten Beispiele aus der letzten Nachblüthe der gothischen Baukunst in 
Deutschland. Kirche und Altarbild machen somit ein Ganzes aus, und 
wohl mögen die Nachkommen zu dem Bilde des Stifters, eines der Vor- 
fahren unsres erhabenen Königlichen Hauses, mit dankbarer Verehrung 
emporblicken; hat ihn die Geschichte früher, von Partei-Interessen befan- 
gen, zwar mannigfach verkannt, so wird gegenwärtig eine vorurtheilslose 
Anschauung seines Lebens und Wirkens auch seine grossen Verdienste und 
(116 edle Milde seines Charakters gewiss nicht vergessen lassen. Und wohl 
mag die Stadt, die er liebte und deren Hauptkirche dies Werk als ihr höch- 
ster Schmuck ziert, stolz darauf sein, dass das eigne Wappenbild hier als 
Träger der himmlischen Gnade (wenn auch in der Anschauungsweise jener 
Tage) erscheint. Hoffentlich wird jetzt, wie die Kirche selbst neuerlich 
gereinigt und restaurirt ist, so auch das Bild von dem Schmutz der Jahr- 
hunderte, der noch darauf liegt, bald befreit werden; dann wird dasselbe, 
f denn es scheint durchaus unverletzt zu sein,  den heiligen Raum in 
seiner ganzen Farbenpracht, die Cranach eigen ist, 11m1 die er hier mit be- 
solldrer Vorliebe entwickelt zu haben scheint, durchleuchten, 
 Nach späterer AulTassung wären die Bilder, welche die eigentliche innere 
Darstellung des Altarwerkes ausmachen, von Matthäus Grunewald gemalt, 
der Vieles für den Kardinal Albrecht fertigte und den man für einen Mitschüler 
des älteren Cranach oder selbst für dessen Lehrer zu halten nicht abgeneigfist. 
Die äusseren Seiten der inneren Flügel und die inneren Seiten der äusseren 
Flügel sollen dann von Cranach, die äusseren Seiten der letzteren von einem 
geringeren Schüler Grunewalds herrühren. 
Kusler. Kleine Schrifleu. n. 3
	        
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