Reisenotizen vom
1840.
Altarwerke
etc.
Halle.
Die grössere Zahl der Bildwerke, welche Erfurt enthält, besteht in sol-
ehcn Schnitzaltären, die zugleich die verschiedenen Epochen der kunst-
lärstorischen Entwickelung bezeichnen und zum Theil von vorzüglichem
erthe sind; Hr. v. Schern hat sich das Verdienst erworben, diese Punkte
mit grosser Klarheit und mit sichrer Kennerschaft zur Anschauung zu brin-
gen. Doch beschränken sich solche Arbeiten. wie oben angedeutet, keines-
Weges auf einzelne Punkte von Norddeutschland. Pommern z. B., 0h-
gleich in der ersten, wie in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahr-
hunderts durch vieles Kriegsnnglück verwüstet, bewahrt noch gegenwärtig
eine bedeutende Anzahl, zum Theil sehr werthvoller Schnitzwerke; das
grosse Altarwerk, welches dort in rler Kirche von Tribsecs erhalten ist,
gehört unbedenklich zu den ersten Zierden deutscher Kunst und steht, was
den Kunstwerth anbetrifft, in der That etwa mit dem berühmten Dombilde
von Köln auf leicher Stufe. Der Unterzeichnete hatte im vorigen Jahre
Gelegenheit, diä Kunstalterthümer von Pommern genauer zu untersuchen;
ES werden sich über dieselben an anderm Orte die ausführlichen Mitthei-
lunggn verlegen lassen. 1) d A f k 1 _t d L r B1 t
ei es mir hier vergönnt, ie u mer sam {er er eser rieses a
tes auf einige vortreffliche Altarwerke zu leiten, die sich in Halle befin-
den und die ich kürzlich kennen zu lernen das Glück hatte. Vorzüglich
bedeutend ist hier das grosse, neuerlich gereinigte Altarwcrk in der Ul-
riehskirche. Dasselbe enthält im Mittelschrein Christus und Maria, auf
einem Throne sitzend, den ersteren in der Geberde des Weltrichters, die
letztere als Fürbitterin am Tage des Gerichts; aufjeder Seite steht ein hei-
liger Bischof; auf dem Flügel zur Linken stehen (ebenfalls als geschnitzte
Statuen) zwei weibliche, auf dem zur Rechten zwei ritterliche männliche
Heilige. Die änssern Seiten dieser Flügel und die inneren eines zweiten
Flügelpaares enthalten gemalte Darstellungen aus der Geschichte der Ge-
burt des Erlösers; auf den äusseren Seiten des letzteren sind die Gestalten
der 4 Kirchenlehrer gemalt. Ein reicher 'l'abernakelbau mit kleineren Sta-
tuen krönt "das Werk; seinen Fuss bildet ein Gemälde mit den Brustbildern
weiblicher Heiligen. Auf einem der Flügelgemälde findet sich, die Zeit des
Werkes bestimmend, die Jahrzahl 1488. Die Malereien sind in derbtüch-
iiger Weise, etwa im Charakter der westphälischen Schule jener Zeit, aus-
geführt. Die Sehnitzwerke sind höchst bedeutend; ihr Stylist dem der
Gemälde angemessen und zugleich für plastische Wirkung vortrefflich durch-
gebildet. Naturwahrheit ist in ihnen mit Glück erstrebt, zwar nicht bis
ins feinste Detail hinein durchgeführt, dies aber durch die leicht stylisirte
Bemalung (im Nackten) auf bedeutsame Weise ergänzt Höchst trefflich
und würdig erscheinen besonders die beiden heiligen Bischöfe des Mittel-
SChreines, sowohl was die gressartig statuarische Anlage anbetrifft, als in
Bezug auf Charakter und Ausdruck; Aehnliches ist auch von den Statuen
der beiden weiblichen Heiligen zu sagen. Der Eindruck des Ganzen ist
klflf und harmonisch. Auilallend und diesen Gesammt-Eindrutzk allerdings
stoPend, ist es nur, dass man bei der neuerlichen Restauration den iiusseren
Flügeln eine ungehörige Stellung (neben der Hinterseite des Mittelschrei-
1195) gegeben hat; auch hat man es unterlassen, die Rückseiten der letzte-
l) Ueber die Bildschnitherei im südl. Deutschland, und zwar in Schwaben,
haben wir so eben sehr wichtige Beiträge erhalten, in der von G. Grüneisen
und E. Manch herausgegebenen Schrift: „Ulm's Kunstlebexl im Mittelalter."