Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 2)

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Rheinreise, 
l84l. 
Erster Abschnitt. 
neuter Kraft dem einen grossen Plane zuwendend, die Bedeutsamkeit des- 
selben immer klarer, immer freier, in stets mehr geläuterter Schönheit zu 
entwickeln vermochten. Wir Sehen den Bau, wie mit einer inneren Noth- 
wenrligkeit, in verhältnissmässig schlichten Anfängen beginnen; wir kön- 
nen der Ausbildung dieses Gedankens Schritt vor Schritt nachfolgen; er 
bleibt uns auch da verständlich, WO er in der reichsten Entfaltung aller 
Kräfte wie ein tausendstimmiger Hymnus von der Erde zum Himmel em- 
porsteigt. Ueberaus merkwürdig ist es freilich, wie diese Schule Jahrhun- 
derte hindurch an dem einen Grundplaue und an den in_ ihm gegebenen 
Bestimmungen festzuhalten wusste, wie es nur das eine Grundgesetz ist, 
das sie unattsgesetzt, auch bei den Aeusserungeu der regsten und leben- 
digsten Kraft, befolgte; wie der Willkür des Einzelnen, die so oft die 
schönsten Erscheinungen der Geschichte verdirbt, ltiebei kein Raum gege- 
ben war. Hierin aber liegt doch nichts Fremdartigcs für uns; es ist eben 
das Zeugniss einer Höhe der allgemeinen geistigen Bildung, eines die Masse 
durchdringenden Ernstes der Gesinnung, welches wir, wie schwer es auch 
für jene, so oft verkannten Zeiten in die Wagschalß falle, dochbmit innig- 
ster llingebung zu verehren vermögen. Und in dieser Gemeinsamkeit der 
Bestrebungen beruht es, dass der Dom, trotz der verschiedenartigen Weise 
in der Ausbildung des Einzelnen, dennoch als ein grossartiges Ganzes er- 
scheint und dass der hier und da bemerkte lilangel an organischem Zusam- 
menhange zu geringfügig ist, als dass er diesen Eindruck des Ganzen we- 
sentlich stören könnte. 
Und jene Schule, die so fest an dem Begriff des Ganzen festzuhalten 
wusste, während sie die volksthümlichste aller Künste zu ihrer höchsten 
Entwickelung führte, was war sie? welche Bedeutung hat sie für unsere 
Betrachtung?  Sie war das künstlerische Organ des Volkes; sie war es, 
die den Formensinn des Volkes, dem sie angehörte, die die Art und Weise, 
wie das Volk sein Gefühl für das Unendliche, wie es die Erhebung seines 
Gemüthes von den Banden der Erde, seine Gottesverchrung in sichtbarer, 
fassbarer, wirkungsreicher Form ausgedrückt wissen wollte, zur Erscheinung 
brachte. Die Reihe der Meister, die den Kölner Dom gebaut, bezeichnet 
nur die Stimmführcr des deutschen Volkes. Der Kölner Dom ist, im 
vollsten Sinne des NVor-tcs, ein Nationalwcrk, ein Werk des deutschen 
Volkes.  
Wer die Rechte unserer Nachbarn jenseit der Ardennen zu vertreten 
gewillt ist, mag hier vielleicht in Erinnerung bringen, dass es mit der 
nationalen Bedeutsamkeit des Kölner Domes doch eine etwas bedenkliche 
 Sache zu sein scheine. Das System des Kölner Domes sei ja, wie es auch 
in den vorstehenden Betrachtungen mehrfach bemerkt ist, ursprünglich in 
Frankreich zu Hause und erst von dort aus zu uns gelangt. Dies ist aller- 
dings ganz richtig, insofern in Frankreich  wie es wenigstens alle Wahr- 
scheinlichkeit hat  zuerst diejenigen, bis dahin beziehungslosen oder nur 
ganz willkürlich verbundenen Formen, welche die Grundlage des gothischen 
Baustyles ßllsmflChen, zu einem sich gegenseitig bedingenden Ganzen zu- 
sammengefügt wurden. Der Ursprung des gothischen Baustyles gehört so- 
mit ohne ZViFElfGl Frankreich an, lllld die ursprünglichg Eyßndung dggsel- 
ben, wenn man sie so nennen will, ist ein Ruhm, der den Franzosen, ohne 
den Vüfwllff blinder Parteilichkeit und Nationaleitclkeit, auf keine Weise 
geschmälert werden darf. Bei ihnen tritt zuerst diejenige Bauweise auf, 
in welcher die geistige Richtung des gesammten Zeitalters ihren angemcs-
	        
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