Der Dom
Köln
VOIl
und
Architektur.
seine
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den. Dies zeigt sich vornehmlich im Innern der Thurmhallen, in dem
Verhältniss der Formen der Gewölbcbögen zu den Formen ihrer Träger,
oder vielmehr darin, dass die ursprünglich nothweiidige Verschiedenheit
dieser Formen bereits zum grossen Theil aufgehoben ist. Während in der
Gliederung der Pfeiler ursprünglich der Grundsatz feststeht, sie als Säulen-
bündel zu gestalten, so läuft hier zumeist die Gliederung des Bogens ohne
Unterbrechung an ihnen nieder. Allerdings erhält eine solche Anordnung
hier insofern ihre Rechtfertigung, als die kolossalen Pfeiler im Innern des
Thurinbaues nothvrendig den Charakter einzelner Organismen verlieren
müssen; sie erscheinen mehr als Mauermassen und die Oeffnungen ZWiSChßll
ihnen gestalten sich mehr den Fensterölinungen analog, bei denen üirlü
ähnliche Weise der Gliederung zu Grunde gelegt werden muss. Dennoch
scheint es mir, dass man die letztere hier minder umfassend würde zur
Anwendung gebracht haben, wäre der Sinn für den Organismus des lnnerii
noch in seiner vollen Stärke vorhanden gewesen; wenigstens geht die Cha-
rakterlosigkeit der Formen des Innern, die im Verlauf der Zeit immer mehr
zunimmt, zunächst gerade von demselben Princip aus. welches hier bereits,
0b auch nicht ganz ohne Grund, zur Erscheinung kommt 1).
S0 darf dieser Umstand wohl als ein neuer Beleg für die Verhältniss-
mässig späte Zeit, in welcher der vorhandene Entwurf des Thurmbaues
gefertigt wurde, gelten Wir werden nicht erheblich irren, wenn wir den-
selben etwa in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts setzen, d. h. etwa
um ein Jahrhundert später, als der Grundstein zu dem Dome selbst gelegt
wurde. Diese Zeitbestimmung ist für die ganze Geschichte der Entwicke-
lung der gothischen Architektur, die nur erst nach ihren allgemeinsten Be-
stimmungen festgestellt ist und in der noch so viele willkürliche Annah-
men Gültigkeit haben, nicht unwichtig. Es stellt sich z. B. hiedurch erst
das historische Vcrhältniss der Facade des Kölner Domes zu der des Strass-
burger Münsters, welche im Jahre 1277 durch Erwin von Steiiibacli ge-
gründet wurde. als ein eigentlich naturgemässes dar; es ist Wenigstens nicht
mehr so gar befremdlich, dass Meister Erwin 1m Wesentlichen noch ganz
das System der französisch-gothischen FßQadß befßlgte und dasselbe nur
zu einer Anmnth entfaltete, die freilich schon an sich über Allem steht,
was durch französische Architekten selbst geleistet worden ist. Trotz (lie-
ser zierlichen Ausbildung ist es fast undenkbar, dass ein so viel höherer
Organismus, wie es der des Kölner Thuruiihallöß ist, auf Erwin nicht sollte
irgend einen Einfluss ausgeübt haben, Wäre derselbe damals in der That
bereits zur Erscheinung gekommen.
Der Dom von Köln ist nicht die Erfindung eines einzelnen Meisters,
der etwa in einsamer Höhe über den Wünschen und über den Strebungen
seiner Zeit dastand; nicht ein. wunderbares hleteor, das uns mit Staunen
erfüllt, das aber, weil es abweicht von dem natürlichen Gange der Dinge,
uns fremd bleibt iiud unser Inneres unberührt lässt. Er ist das Werk einer
Schule, einer Reihe von Geschlechtern, die, ilire Gedanken mit stets 613
1) lIiebei ist auch de!" Krossen Sakristei zu gedenken, welche der Nurdseita
des Kölner Domes. iiSilwh vom Qllßfsßhiff, angebaut ist. Es ist 91m, gigan-
thümlich interessante Architektur und ebenfalls noch aus guter gothischer Zeit:
ein quadratigghßr Raum, lllit 91119111 Pfeiler in der Mitte, welcher die Gurte der
Kreuzgewölbe trägt. Die letzteren leufeu an ihm nieder, haben gleichwohl aber
noch ihre selbständigen Blätter-kapitale.