Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 2)

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Rheinreise, 
1841. 
Erster 
Abschnitt. 
ter, aber ungetheilter Kraft, in gleichmässiger Bewegung und Entwicke- 
lung steigt die Facade bis zur Höhe des Mittelschiffes, dessen Giebel den 
Mittelbau krönt, empor. Von hier ab beginnt, wie bemerkt, die Theilung 
ller Masse in den Thürmen. Die reichere Anordnung der Seitentheile, 
welche in den Untergeschossen beobachtet war, vereinfacht sich, und zwar 
in einer Art, dass die vermittelnden Uebergänge sich höchst klar darlegen, 
und die Thürme erhalten nunmehr erst ihren selbständig gültigen Unterbau. 
Dann folgt jenes leichte, luftige. achtscitige Obergeschoss der Thiirme, 
welches keine andre, als nur die deutsch-gothische Architektur kennt und 
ohne welches eine eigentliche Vollendung des gothischen Thurmbaues doch 
geradehin unmöglich ist; und über diesem endlich schiesst die schlanke 
achtseitige Pyramide, mit dem reizvollen Spiel all des durchbrochenem 
Sprossenwerkes, welches die Räume zwischen ihren Rippen ausfüllt, in 
die Lüfte empor. 
Die Gesammtkomposition des Thurmbaues, die schon an sich einzig 
in ihrer Art erscheint, erhält indess ihre volle Bedeutsamkeit erst durch 
die Durchbildung des Einzelnen. durch die Art und Weise, wie sich mit 
den grossen und entschieden vorherrschenden Hauptformen eine leicht ge- 
gliederte Dekoration als ein innerlich Nothwendiges, als der eigentliche 
Ausdruck Vüllkommerlstßr Belebung, verbindet. Wie die einzelnen Theile 
schlank und strahlenartig emporsteigen; wie Sie, je nach ihrer stärkeren 
oder schwächeren Ausladung, freier und höher oder mehr der Mauer an- 
geschmitrgt von der Masse sich ablösen; wie jedes, auch das geringste Stück 
auf vollkommen organische Weise (im Gegensatz gegen die Willkürlich- 
keit einer lediglich dekorirenden Form) entwickelt ist und doch im innigstcn 
Zusammenhange mit den übrigen Einzelheiten und mit dem Ganzen steht; 
wie das letztere, ruhig und unaufhaltsam emporsteigend, durch den reiz- 
vollsten musikalischen Rhythmus erfüllt wird,  alles dies ist auf eine fast 
unbegreiflich meisterhafte Weise durchgeführt. Hier ist durchaus nicht 
mehr von massenhaften Grundformen, auf denen ein reiches Detail nur 
etwa aufgelegt sei, die Rede, wie dergleichen bei franzüsisch- oder fran- 
zösirend-gothischer Architektur erscheint; die Masse ist im Gegentheil von 
innen heraus flüssig geworden; alles Einzelne quillt "mit unüberwindlicher 
Kraft, und doch wiederum einem gemeinsamen Gesetze folgend, aus der 
Masse hervor. Keine der vorhandenen Abbildungen, selbst nicht das grosse, 
sonst doch so verdienstliche Boissereesche Prachtwerk , gibt von dieser 
innerlichen Lebensfülle der Formen und von der höchst wunderbaren Har- 
monie, die gerade durch sie in der malerischen Wirkung des Gebäudes, in 
dem Eindruck desselben auf das Auge des Beschauers, hervorgebracht 
wirdheinen genügenden Begriff Dies kann man nur in eigner Anschauung 
des zur Ausführung Gekomrnenen beurtheilen. Mir aber scheint jenes 
Bruchstück des Kölner Thurmbaues dasjenige YVerk zu sein, welches auf 
dem Höhepunkte alles dessen steht, was bisher durch die Architektur ist 
geleistet worden. Bei so ganz ausgezeichneter Bedeutsamkeit des Thurm- 
baues darf man gewiss auf die verhältnissmässig doch nur geringen Inkon- 
gruenzen, die sich in seiner Verbindung mit dem übrigen Kirchengebäude 
zeigen, kein zu grosses Gewicht legen.  
Eins indess muss ich hiebei noch bemerken. Während das Aeussere 
der gothischen Architektur in dem Thurmbau des Kölner Domes seine er- 
denklich höchste Entfaltung findet, so beginnt gleichzeitig der Sinn für 
das Innere bereits, ob auch erst in leisester Andeutung, schwächer zu wer-
	        
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