Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 2)

146 
Rheinreise, 
1841. 
Erster 
Abschnitt. 
Höchst interessant und höchst belehrend für die Entwickelungsge- 
schichte der gothischen Architektur würde es sein, wenn uns der Entwurf 
zu den Thürmen nach den ursprünglichen Plänen des Domes erhalten wäre. 
Dies ist aber nicht der Fall, und so können wir die Einrichtung desselben 
nur vermuthungsweise näher bestimmen. Indcss scheint mir das vollkom- 
men sicher, dass die Thürme schon ursprünglich auf dieselbe Ausdehnung 
der Grundfläche berechnet waren, welche ihnen gegenwärtig eingeräumt ist, 
dass sie nämlich auf jeder Seite die Breite der beiden Seitenschitle ein- 
nahmen. Sie mussten, für die Vorderansicht, nothwendig die geringere 
Höhe der letzteren, im Verhältniss zum Mittelschiff decken; und wollte 
man diese Nothwendigkeit nicht zugeben, so würde doch jede andre Ein- 
richtung der Thürme, etwa wenn man die letzteren nur vor die äusseren 
Seitenschitfe setzen und ihnen die geringe Breite von diesen geben wollte, 
die Harmonie des Ganzen schon an sich allzu empfindlich aufgehoben 
haben. Durch das gegebene Grundmaass und durch die gegebene Höhe 
des MittelschitTes, welches sich in dem Zwischenbau zwischen den beiden 
Thürmen fortsetzen musste, war zugleich aber auch ein Massen- und Hö- 
henverhältniss bedingt, welches von dem des vorhandenen Baurisses nicht 
auffallend abweichen konnte; und hieraus ergiebt sich, dass der letztere in 
der That als die Umbildung  und zwar als die erhöhte Durchbildnng  
eines älteren Entwurfes zu betrachten ist.  Die Art" und Weise, wie 
ursprünglich die Anlage und die Ausführung des Thurmbaues beabsichtigt 
werden, können wir uns vielleicht nicht mit Unrecht als dem Thurmbau 
der Elisabethkirche zu Marburg ähnlich vorstellen. Diese Kirche ist, wie 
bereits oben bemerkt, im Jahr 1235 gegründet und 1283 vollendet worden. 
Der Plan, nach welchem sie ausgeführt ist, erscheint wesentlich als ein in 
sich abgeschlossenes Ganzes; doch auch in ihr bemerkt man, wenigstens in 
der Ausbildung des Details, Verschiedenheiten, die wiederum die verschie- 
denen Stadien der Bauführung charakterisiren. Die Östlichen Theile ihres 
Inneren haben strengere, die westlichen mehr entwickelte Detailbildungen, 
so dass diese als die jüngeren erscheinen. Ihre zumeist gen Westen be- 
legenen Theile. die Thürme, sind somit gewiss erst um ein Namhaftes 
später als 1235, vielleicht etwa gleichzeitig mit der Gründung des Kölner 
Domes oder noch später, begonnen. Ja, man erkennt selbst an ihrem 
{Aufbau mehrfache und verschiedenartige Modifikationen der ursprünglichen 
Anlage; man sieht es auch hier aufs Deutliehste, dass es erst in Folge 
mehrfacher Versuche möglich wurde, in den Thürmon jenes schlanke und 
leichte Emporsteigen zum Ausdrucke zu bringen, wodurch sie sich von 
allen älteren Bauten der Art, namentlich von den Thürmen der französi- 
schen Kathedralen, bereits so vortheilhaft unterscheiden und die eigen- 
thumliche Ausbildung des deutsch-gothischen Thurmbaues vorbereiten. 
Und doch ist hier nur erst das Allgemeine der Wirkung erreicht; doch ist 
das Princip an sich noch keineswcges zu einer gesetzlichen Fntwickclung 
gediehen, erscheint alles Einzelne noch herb und streng, zum Theil sogar, 
im Widerspruch gegen den Gesammtcharakter, noch übermässig lastend. 
Der ursprüngliche Entwurf zu dem Thurmbau des Kölner Domes muss, 
zufolge der Disposition des Grundplanes, von Hause aus reicher, in einer 
mehrfachen Theilnng der Masse, angelegt gewesen sein; eine höher ent- 
wickelte Ausbildung anzunehmen, haben wir jedoch keinen Grund. 
Man hat 68 als einen Mangel an der Faeade des Kölner Domes, wie 
dieselbe nunmehr in jenen vorhandenen Baurissen erscheint und wie Sie
	        
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