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Rheinreise,
1841.
Erster
Abschnitt.
Höchst interessant und höchst belehrend für die Entwickelungsge-
schichte der gothischen Architektur würde es sein, wenn uns der Entwurf
zu den Thürmen nach den ursprünglichen Plänen des Domes erhalten wäre.
Dies ist aber nicht der Fall, und so können wir die Einrichtung desselben
nur vermuthungsweise näher bestimmen. Indcss scheint mir das vollkom-
men sicher, dass die Thürme schon ursprünglich auf dieselbe Ausdehnung
der Grundfläche berechnet waren, welche ihnen gegenwärtig eingeräumt ist,
dass sie nämlich auf jeder Seite die Breite der beiden Seitenschitle ein-
nahmen. Sie mussten, für die Vorderansicht, nothwendig die geringere
Höhe der letzteren, im Verhältniss zum Mittelschiff decken; und wollte
man diese Nothwendigkeit nicht zugeben, so würde doch jede andre Ein-
richtung der Thürme, etwa wenn man die letzteren nur vor die äusseren
Seitenschitfe setzen und ihnen die geringe Breite von diesen geben wollte,
die Harmonie des Ganzen schon an sich allzu empfindlich aufgehoben
haben. Durch das gegebene Grundmaass und durch die gegebene Höhe
des MittelschitTes, welches sich in dem Zwischenbau zwischen den beiden
Thürmen fortsetzen musste, war zugleich aber auch ein Massen- und Hö-
henverhältniss bedingt, welches von dem des vorhandenen Baurisses nicht
auffallend abweichen konnte; und hieraus ergiebt sich, dass der letztere in
der That als die Umbildung und zwar als die erhöhte Durchbildnng
eines älteren Entwurfes zu betrachten ist. Die Art" und Weise, wie
ursprünglich die Anlage und die Ausführung des Thurmbaues beabsichtigt
werden, können wir uns vielleicht nicht mit Unrecht als dem Thurmbau
der Elisabethkirche zu Marburg ähnlich vorstellen. Diese Kirche ist, wie
bereits oben bemerkt, im Jahr 1235 gegründet und 1283 vollendet worden.
Der Plan, nach welchem sie ausgeführt ist, erscheint wesentlich als ein in
sich abgeschlossenes Ganzes; doch auch in ihr bemerkt man, wenigstens in
der Ausbildung des Details, Verschiedenheiten, die wiederum die verschie-
denen Stadien der Bauführung charakterisiren. Die Östlichen Theile ihres
Inneren haben strengere, die westlichen mehr entwickelte Detailbildungen,
so dass diese als die jüngeren erscheinen. Ihre zumeist gen Westen be-
legenen Theile. die Thürme, sind somit gewiss erst um ein Namhaftes
später als 1235, vielleicht etwa gleichzeitig mit der Gründung des Kölner
Domes oder noch später, begonnen. Ja, man erkennt selbst an ihrem
{Aufbau mehrfache und verschiedenartige Modifikationen der ursprünglichen
Anlage; man sieht es auch hier aufs Deutliehste, dass es erst in Folge
mehrfacher Versuche möglich wurde, in den Thürmon jenes schlanke und
leichte Emporsteigen zum Ausdrucke zu bringen, wodurch sie sich von
allen älteren Bauten der Art, namentlich von den Thürmen der französi-
schen Kathedralen, bereits so vortheilhaft unterscheiden und die eigen-
thumliche Ausbildung des deutsch-gothischen Thurmbaues vorbereiten.
Und doch ist hier nur erst das Allgemeine der Wirkung erreicht; doch ist
das Princip an sich noch keineswcges zu einer gesetzlichen Fntwickclung
gediehen, erscheint alles Einzelne noch herb und streng, zum Theil sogar,
im Widerspruch gegen den Gesammtcharakter, noch übermässig lastend.
Der ursprüngliche Entwurf zu dem Thurmbau des Kölner Domes muss,
zufolge der Disposition des Grundplanes, von Hause aus reicher, in einer
mehrfachen Theilnng der Masse, angelegt gewesen sein; eine höher ent-
wickelte Ausbildung anzunehmen, haben wir jedoch keinen Grund.
Man hat 68 als einen Mangel an der Faeade des Kölner Domes, wie
dieselbe nunmehr in jenen vorhandenen Baurissen erscheint und wie Sie