Der
Dom
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seine
und
Köln
Architektur.
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anzuführen. So muss es fürs Erste als einentscheidender Umstand her-
vorgehoben werden, dass die Strebepfeiler des Thurmbaues 'wesentlich
anders behandelt sind, als die der gesammten übrigen Theile des Dom-
gebäudes; während die letzteren durchaus InaS-Sßllllaftllnd Ohne alle Glie-
derung erscheinen, so entwickelt sich bei jenen schoirvom Fusse an ein
lebhaft bewegter Organismus, der in stetigem Fortschritt bis zum letzten
obersten Gipfelpunkte der Thürme emporsteigt. Man konnte sagen, "es sei
dies eben ursprüngliche Absicht; man habe von vornherein das Bßdllrfnlss
empfunden, den gesammten Thurmbau reicher zu gestalten, um dadurch
der Schauseite des Gebäudes die nöthige Auszeichnung zu geben, und Klau
sei dazu gewissermaassen gezwungen gewesen, weil der schon ursprünglich
gesetzliche reichere Schmuck der Portale auch für die umgebenden Bau-
theile eine Anordnung ähnlicher Art bedingen müsse. Wir können dies
im Allgemeinen wohl zugeben; wir müssen aber ebenso bestimmt voraus-
setzen, dass man hiebei dennoch, wie überall bei den reicher dekorirten
Bauten frühgothischen Styls, das massenhaft strenge Grundprincip werde
beibehalten und den Schmuck als solchen mehr nur an gewissen Einzel-
theilen zur Anwendung gebracht haben. Und da auch an den Vorder-
schiffen die alte Form der Strebepfeiler beibehalten ist, so zeigt dies zu-
gleich, dass auch ihr Entwurf älter sein muss, als der zu dem Thurmbail.
Denn hätte man auf der einen Seite bereits die reichere Gliederung des
letzteren, auf der andern nur die strenge Massenhaftigkeit der Streben am
Chore vor sich gehabt, so würde man hier unbedenklich, um einen Ueber-
gang von dem Einen zu dem Andern zu bilden, nach einer mittleren. Stufe
der architektonischen Dekoration gestrebt haben; während gegenwartlg der
letzte Strebepfeiler des Vorderschitfes in seiner kahlen Strenge sich ganz
unvermittelt dem vielgestaltigen Wechsel der Formen am Thurmbau an-
reiht. Nicht minder wichtig ist der Vergleich des letzteren mit der
architektonischen Ausbildung der Strehethürme am Chor. Denn während
diese. wie bereits oben bemerkt, allerdings die "entschiedene Absicht einer
reichen architektonischen Gliederung zeigen, Während Sie aber noch nicht
im Stande sind, hiebei die ursprüngliche Schwere W111; In überwinden,
und in der aufwärts strebenden Bewegung noch manche Stockung erkennen
1,1559", so erscheint dasselbe lDFinCip. am lhurmbau, am Ganzen wie an
allen, auch den geringsten Einzelheiten, zur vollkpmmensten Lebendig-
keit, zur auenautersten Harmonie durchgebildet. Es hiesse alle Gesetze
der Entwickelung des menschlichen Geistes geradezuauf Kopf stellen,
Wollte man Sagen, man habe es für gut befunden, gleichzeitig, JG nach den
vgrschiedenen Bautheilen verschiedene Principien solcher Art aufzustellen
und, nachdem man hier bereits das Vollendetere gefunden, dennoch dort
an dem minder Organischen festzuhalten oder dazu zurückzukehren.
Endlinh ist zu bemerken, dass sich überhaupt die Anlage der Thürme
dem übrigen Bau nicht vollkommen congruent anschliesst. Namentlich
decken ihre östlichen, in der Iilucht der äusseren Kirchenmauern hinaus-
tretenden Streben die dort befindlichen Fenster zur Hälfte zu. Es hat
zwar überall in der gothischen Architektur die Verbindung dieser Strebe-
pfniler des Thurmbaues mit den Kirchenmauern besondre Schwierigkeiten;
doch würden dieselben in einem Plane, der ganz als Ein Guss erschiene,
gewiss mindni- auffällig geblieben sedin, lalls hier, wo eine ältere Einrich-
im mehr verleugnet Wer 611 onnte, vorlag und wo eine neue
iiliggiitilzif, nicht minder ihr selbständiges Recht forderte.
Kugler, Kleine Schriften. ll- lO