144
Illwinreise,
1841.
Abschnitt.
Plrster
tragen bestimmt. sind Die Basamente der in Rede stehenden Pfeiler
sind durchweg in vollercn und weicheren Formen, die Blätter ihrer Ka-
pitäle kräftiger hervorquellend gebildet, als Alles dies an den Chorpfeilcrn
gefunden wird. So bemerkt man auch an den Fenstern die Anlage einer
volleren und kräftiger wirksamen Gliederung als an den Unterfeustern des
Chores.
So deutet bei den Vorderschiifen Alles darauf hin, dass das Gefühl
für den Organismus der inneren Bauformen sich nunmehr zum vollständig
klaren Bewusstsein entfaltet hatte und dass man die Schönheit, die in dem
Ganzen, in den allgemeineren Maassen und Verhältnissen begründet war,
auch bis in die geringsten Einzelheiten hinab zu entwickeln vermochte.
Ueber das Aeussere lässt sich nur sagen, dass man an den Seitenschitien
jene massigen Strebepfeiler, wie sie bereits für den Chor zur Ausführung
gekommen waren, beizubehalten für gut fand, mit sehr richtigem Takt,
indem eine leichtere, mehr gegliederte Behandlung derselben die Harmonie
des Ganzen auf empfindliche Weise gestört haben iwürde.
Das äussere Seitenschiil" auf der Nordseite ist in der letzten Periode
des Dombaues vollendet worden. Die Architektur der Fenster ist hier,
wie bereits bemerkt, ganz in der schönen Weise ausgeführt, für welche die
Fenster am Oberbau des Chores das Vorbild gaben. Die Gurtungen des
Gewölbes scheinen aber bereits eine etwas breite und schwere Bildung zu
haben 2). Besonders zu bemerken ist es, dass derjenige Strebepfeiler, der
sich am Ende dieses Seitenschiifes dem kaum erst begonnenen nördlichen
Thurme anschliesst, abweichend von den übrigen mit einer bunten Deko-
ration, in geschweiften und gewundenen Formen, wie dergleichen im An-
fange des sechzehnten Jahrhunderts gefunden werden, versehen ist. Dieser
Strebepfeiler ist am ganzen Dome das einzige Beispiel von willkürlicher
Behandlungsweise eines Einzeltheiles und zugleich von entarteter Formen-
bildung. Und dennoch ist die letztere wenigstens im Ganzen so gefügt,
dass man auch hierin noch die reinen Principien der Schule nachklin-
gen fühlt.
Wie an den Vorderschiden uns der Organismus des Inneren in seiner
vollendeten Gestalt entgegentritt, so endlich der des Aeusgeferl an (191-
Architektur der Westseitc und an den beiden Thürmen, welche
dieselbe scihmücken. Wir haben übPr fiiGSCH Theil des Domes ein voll-
ständiges Urtheil, indem die Anordnung des Ganzen uns in den alten, sehr
ausführlichen Baurissen (die bekanntlich von Moller im Facsimile heraus-
gegeben sind) vorliegt, für die Behandlung des architektonischen Details
und für die Wirkung desselben aber derjenige Theil der Westseite, der
zur Ausführung gekommen, die umfassendsten Beispiele giebt.
Dass wir 3110i! hier nicht ein Stück des ursprünglichen Entwurfes vor
uns haben, dass somit jene merkwürdigen alten Baurisse nicht etwa von
der Hand deS MßiStef Gerhard (oder wie man sonst den Urheber des ersten
Planes für den Dombatl nennen will) herrühren, dass sie vielmehr die
letzte und zugleich die bedeutsamste Um- und Ausbildung des letzteren
ausmachen, dies Wird für den. welcher dem bisherigen Gange meiner Un-
tersuchungen gefolgt ist, nichts Befremdliches mehr haben. Doch sind
auch hier die besonderen Merkmale, auf denen meine Annahme beruht,
i) Vergl das Pfeilerproßl, Fig.
He Profile der Gewölbgurte, Fig..3
2, Äuf
und 4,
der anliegenden Tal".
auf der anl. Taf II.
Vergl,