Rhei
weise,
1841
Erster Abschnitt.
Chor möglichst rasch und mit möglichst geringen Kosten zu vollenden, die
Vereinfachung herbeigeführt hat.
S0 giebt uns das Aeussere des Chores bereits das Bild einer dreifachen
Entfaltung des gothischen Styles. Aber ich habe bereits bemerkt, dass
das Verhältniss der Oberfenster zu den Unterfenstern keinen disharmoni-
sehen Eindruck hervorbringt; ich muss dasselbe von dem Verhältniss der
Strebethürme zu den Strebepfeilerll, auf denen sie ruhen, sagen. Zwar
fehlt hiebei eine eigentliche Entwickelung der oberen reichen Formen aus
der unteren Masse der Strebepfeiler; doch bleibt auch dies insofern minder
auffällig, als der gcsammte Untertheil des Chorcs fast nur wie ein Unter-
bau erscheint, der dazu bestimmt ist, jene reich ausgebreitete Fülle auf-
wärts strebender Formen zu tragen. Es liegt hierin ein ganz eigenthüm-
licher phantastischer Reiz, der überwältigend auf das Gemüth des Bescliauers
wirkt. Dennoch aber muss ich es bemerken, dass es schwer, ja fast un-
möglich wird, bei der Betrachtung dieser Formenfülle, die sich nothwendig
dem Auge im mannigfaltigsten Wechsel durcheinander schiebt, zu einer
reinen Empfindung der Grundformen, der eigentlich bestimmenden archi-
tektonischen Gesetze zu gelangen. Jenes Aussenwerk an Strebethürnien
und Bögen, dessen Dasein allerdings vollkommen gerechtfertigt ist, erscheint
zu reich, zu anspruchvoll; es beeinträchtigt den eigentlichen Oberbau des
Chores (sein erhöhtes Mittelschitf). der doch der Körper des ganzen Ober-
theiles ist, durch den erst die bunte Dekoration, die um ihn her aufsteigt,
ihre Bedeutung, den Zweck ihres Daseins empfängt. Wir sehen hierin
wiederum recht deutlich, wie in den Strebethürmen und Bögen ein neues
architektonisches Gesetz auftritt, wie aber die Kräfte, die durch das letztere
in's Leben eingeführt werden. noch übersprudeln, noch des strengeren
Maasses, der weiseren Zügelung entbehren. Ich bin auf's Entschiedenste
überzeugt, die Behandlung des Thurmbaues auf der Westseite bilrgt
dafür dass man im Fortschritte des Baues, bei der Aufführung der
Strebethürme und Bögen am Vorderschiii des Domes dies strengere Maass
würde gefunden, dass man sie, wenn gewiss auch noch inniger durchge-
bildet, doch zugleich auf einfachere, mehr übersichtliche Verhältnisse würde
zurückgeführt haben. Uns aber steht jetzt die Vollendung des Vorder-
schiffcs bevor: es könnte in der That kein schöneres Zeugniss für das
innigste und wahrhafteste Verständniss dessen. was die alten Meister uns
hinterlassen, geben. als wenn man hier auf eine Vereinfachung solcher Art
Bedacht nähme. Sage man nicht, es sei unsere Pflicht, in der Weise, wie
die alten Meister begonnen, fortzufahren, oder vielmehr die Formen, die
wir in den vollendeten Theilen des Domes erblicken, ohne Anspruch auf
eigene Erfindung nachzuahmen; wiejene Meister fort und fort an dem Baue
gebildet, die Principien des Styles immer klarer und edler entfaltet haben,
in derselben Weise müssen auch wir das Werk beginnen, wenn wir uns
ihnen ebenbürtig an die Seite stellen, wenn wir überhaupt den Anspruch
machen wollen, als Vollender des Werkes zu gelten. Und sage man nicht,
jene Zeit liege uns zu fern, als dass wir es hoffen könnten, gleich den
alten Meistern uns in die innerlichsten Principien des Styles hineinzuleben
und aus diesen heraus zu einer gültigen selbstschöpferischen Wirksamkeit
zu gelangen. Der jetzige Meister des Dombaues hat solchen Einwurf durch
die That bereits genügend widerlegt. Nicht bloss am Dome hat er das
umfassendste Verständniss des Styles kundgegeben; auch an einem selb-
ständigen Bau. der Kirche von Apollinarisbcrg. die zwar zu Folge äusserer