Köln
Der Dom von
seine
und
Architektur.
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hier verschwunden; die Entwickelung der Formen gestaltet sich in der
reinsten Elasticität und Harmonie, so dass uns hier zugleich mit Rück-
sicht auf die nicht minder vollendeten Giebel, welche die Fenster krönen,
das edelste Beispiel gothischer Fensterarchitektur entgegentritt I). Der
Unterschied der äusseren Lage bewirkt es nur, dass die Abweichungen
keine disharmonische Störung in das Ganze bringen; ja, es giebt fast eine
gewisse natürliche Befriedigung, wenn das Auge, indem es von den untern
zu den obern Fenstern emporsteigt, nicht bloss von strengeren zu milde-
ren Formen, sondern zugleich auch von einem minder entwickelten zu
einem höher ausgebildeten Organismus übergeht. Bei der später erfolgten
Vollendung des äusseren Seitenschilfes auf der Nordseite, im vorderen
Raume der Kirche, hat man die Fenster, welche doch mit den Unterfen-
stern des Chores in gleicher Linie stehen, nach dem Gesetz der Oberfen-
ster des letzteren gestaltet. Ob das Mittelschiff des Chores schon ur-
sprünglich auf die bedeutende Höhe berechnet war. welche dasselbe gegen-
wärtig hat, dürfte sehr schwer zu entscheiden sein. Gegenwärtig erscheint
seine Höhe für den Eindruck des Innern allerdings fast übertrieben; es
ist aber zu bemerken, dass die perspektivische Wirkung des Innern bei
der Vollendung des ganzen Domes nothwendig eine ganz andere sein
muss, als jetzt bei der verhältnissmässig nur geringen Länge des Chores.
Das dritte Stadium des Baues. wiederum eine Umbildung des in dem
ursprünglichen Entwurfe Gegebenen, vergegenwärtigt sich uns in jenem rei-
chen Systeme von Strebethürmen und Bögen, welche sich über
den Seitenräumen des Chores erheben und gegen das eben besprochene
erhöhte Mittelschiff desselben hinüber geschlagen sind. Ein System solcher
Art gehört überhaupt zu den eigenthümlichsten und sinnvollsten Gestaltun-
gen der gothischen Architektur. Der Druck der Gewölbe in den Seiten-
schitfen fand in den an diesen hinaustretenden Strebcpfeilern sein Wider-
lager; für die Gewölbe des erhöhten Mittelschiifes waren aber keine Strebe-
pfeiler von genügender Stärke anwendbar, und man ersetzte dieselben,
indem man jenen Gewölbdruck durch kühn gesprengte Strebebögen auf
die Strebepfeiler der Seitenschiffe hinaus leitete, welche letzteren hiebei
thurmartig erhöht wurden. Bei fünfschiffigen Kirchen mussten zu demsel-
ben Zwecke, falls die Strebebögen nicht übermässig lang gespannt werden
sollten, auch über denjenigen Pfeilern des Innern, deren Reihe das äussere
und das innere Seitenschitf sondert, Thürmchen emporsteigen, so dass die
Bögen sich verdoppelten; und da eine solche Anordnung an sich zu breit
gewesen wäre, so mussten die Strebethürme, um mit den übrigen Bauver-
hältnissen in Harmonie zu treten, noch höher emporgeführt und statt der
zwei Bögen zwischen ihnen und der Wand des Mittelschiifes deren je vier
angeordnet werden. Auf diese Weise ist das genannte System am Chore
des Kölner Domes beschaffen; zugleich ist dasselbe im Einzelnen (wenig-
stens im der Südseite) auf's Reichste und Glänzendste durchgebildet, so
dass hierin wesentlich der höchst brillante Eindruck des Aeusseren, ja fast
am meisten der weitverbreitete Ruhm des Gebäudes begründet ist. Es ist
"der heilige Wald. in dessen Schatten das Gotteshaus ruht," es sind "die
1) Zwischen den Fenstern des Oberbaues treten nach der ursprünglichen
Anlage und nicht Völlig cimßfllirßnd miY dem System der Strebebögun gvergl. das
Folgende) Pfeilerecken, die mit leichten Thürmchen bekröxit sind, als Stm-
ben hervor.