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Rheinreise,
1841.
Erster
Abschnitt.
mit so weitläuftiger Vermuthung hingehalten haben, wäre eine Anschau-
ungsweise dieser Art nicht zugleich für die richtige Auffassung des ganzen
Domgebäudes, soviel davon ausgeführt oder uns in alten Baurissen be-
kannt ist, von der höchsten Wichtigkeit. Aehnlich, wie ich annehmen
möchte, dass der ursprüngliche Plan entstanden sei, hat sich das Gebäude
selbst, in gewissen. voneinander verschiedenen Stadien der Bauführung,
entwickelt. Die Formen des Gebäudes sprechen es aus, dass ein jeder
Haupttheil desselben eine erhöhte Entfaltung oder eine erneute Umbildung
der ursprünglichen Anlage ausmacht. Der Kölner Dom ist nicht die Er-
findung eines einzelnen Meisters; er ist viel entschiedener, als man
dergleichen sonst wohl von den Werken der Menschen zu sagen pflegt
das Erzeugniss der Zeit und des Volkes, denen er angehört und denen
dafür vorzugsweise die Ehre und der Ruhm gebührt. Ich muss es aber
noch einmal ausdrücklich bemerken, dass der Dom keinesweges, wie so
häufig die kirchlichen Gebäude des Mittelalters, als ein Aggregat verschie-
denartiger und durch den Zufall zusammengewürfelter Stücke betrachtet
werden darf: er besteht allerdings aus verschiedenartigen Theilen, aber
dieselben sind dennoch nur die Austlüsse eines gemeinsamen Grundgesetzes,
der Dorn ist dennoch ein Ganzes, wie die Baugeschichte schon in diesem
Bezuge kein zweites Beispiel darbietet.
Betrachten wir nunmehr den Dom näher, und zwar nach den Theilen
und Entwickelungsstadien, wie sich dieselben, dem verschiedenartigen
Charakter der Formen gcmäss, voneinander sondern.
Dem ursprünglichen Entwurfe gehört zunächst der Grundplan des
ganzen Gebäudes an. Schon diesen haben wir als das Werk der tiefsin-
nigsten Meisterschaft zu preisen. Allerdings zwar ist derselbe, wie be-
merkt, nach bereits vorhandenen Mustern, nach den Plänen der franzö-
sisch-gothischen Kathedralen, entworfen, ebenso wie die letzteren durch
die allmählige Weiterbildung älterer Grundrissformen entstanden sind. Die
Elemente waren gegeben; aber während sie in jenen Vorbildern mehr oder
weniger ohne den rechten Zusammenhang. ohne das gegenseitig sich be-
stimmende Verhältniss, ohne das Gesetz einer vollkommen abschliessenden
Entwickelung nebeneinander stehen, erscheinen sie hier auf die folgerich-
tigste Weise zu einem unvergleichlich harmonischen Ganzen verschmolzen.
Der Kranz der Kapellen, welche den Chor umgeben , hatte bei den fran-
zösischen Kathedralen häufig eine tiinfschiftigc Einrichtung des Chores zur
Folge gehabt; im Vorderschiff aber hatte man an der einfacheren drei-
schiffigen. Anordnung festgehalten, so dass die beiden Haupttheile des Ge-
bäudes wesentlich voneinander abwichen und der hintere als ein. für das
Ganze zu massenhafter Auswuchs erschienen war1). Im Grundriss des
Kölner Doms aber sind durch die Einführung der fünf Schiffe auch in der
vorderen Hälfte des Gebäudes, und durch die Art und Weise, wie dies
eingerichtet worden. jene Uebelstände aufs Vollkommenste beseitigt und
die Thcile zu einem Ganzen verbunden, welches durchaus als Ein Guss
erscheint. Sodann sind jene Chorkapcllen selbst bei den französischen
Kadhßdfillßn thßils noch aus der Masse nicht genügend gelöst, theils treten
i) Notm-Dame v5on Paris ist zwar bereits in der Gesammtanlage fünfschißig;
doch sind in dem Plan dieser Kirche im Uebrigen so abweichende Motive, dass
derselbe hier nicht lll Butrachtung kommen kann.