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Rheinreise,
1841.
Erster Aiaschnitt.
an sich noch unorganischen Verbindung altehristlicher und orientalischer
Elemente; sie linden sich vorzugsweise de, wo beide Elemente das Leben
älsh gleichberechtigte durchdrungen hatten: in Sieilien. Dies Land hatte
a rtunderte lanv unter saracenischer Herrschaft estanden; durch die
Normannen in de: zweiten Hälftedcs elften Jahrhunderts dem christlichen
Glauben zurückerkämpft, gingen hier gleichwohl noch geraume Zeit Chri-
stenthum und Islam, der Ernst des Ocuidents und die Phantasie des Orients.
Hand in Hand. Die Isicilianisch- normannischen Architekturen, deren
wichtigste dem zwölften Jahrhunderte angehören, zeigen den Säulenbau.
der altchristlichen Basilika mit der arabischen Form des Spitzbogens ver-
bunden. Merkwürdig ist es, dass man neuerlich auch in Deutschland einige
Bauwerke dieser Gattung aufgefunden hat; das interessanteste derselben ist
die Kirche von Mcrzig an der Saar, deren anderweitige Architekturformen
jedoch mit den oben genannten spätromanischen Gebäuden der rheinischen
iibercilnstimäendlm nördlichen Franlärcich aber fügte man, be-
rei s in er spe eren eit es zwölften Jahrhun erts, 'enen sicilianischen
Elementen noch ein drittes hinzu, das Gewölbe, nachJ denjenigen Prinei-
pien, wie sich dasselbe allerdings schon im romanischen Baustyle vorgebil-
det hatte; und hiemit war der Beginn zu einer ganz neuen Entwickelung
gegeben. Die Säule deren Grundform eine ungleich individucllere ist, als
die im romanischen Gewölbcbau angewandte Grundform des viereCkigPTl
Pfcilers war von vorn herein zur Ausbildung der lebenvollsten Glie-
derung geeignet; der Organismus der letztern konnte sich unmittelbar in
der Gliederung des Gewölbes fortsetzen; das aufstrebende Element, welches
hierin lag, fand in der spitzbogigen Form der Wölbungen seine angemes-
scnste Vollendung. Als eine anderweitig unmittelbare Folge erscheint bei
diesem architektonischen System, im Aeusseren der Gebäude, der Strebe-
pfeilcr sammt Allem, was von ihm abhängt, so dass auch für die äussern
Masse der Architektur eine stetig durchgehende Gliederung und ein ent-
schieden aufwärts strebender Charakter gewonnen ward. Gleichzeitig mit
einer solchen durchgreifenden Umgestaltung der Formen war man in Frank-
reich auf eine möglichst grossartige Anordnung des Grundplanes der kirch-
liehen Gebäude bedacht, indem man hier gewisse Elemente, die sich 2111er-
dings im romanischen Baustyle bereits angekündigt hatten, auf eine sinn-
volle Weise zu einer erhöhten Wirkung umzubilden wusste; vornehmlich
gehört hielier der Kranz der Kapellen, welche den Chor umgeben. Frank-
reich besitzt eine bedeutende .AI]Z2lili von Kathedralen, die von Paris,
Chartres, ltheims und viele andere, welche das erste Auftreten und die
ersten Entwlckelungsstuten des gothlschen Baustyles erkennen lassen. Aber,
W16 Sßhön Zulllffllßll allch {119 räumlichen Verhältnisse dieser französischen
Gefläudä erschemenv mlt W19 TeiChCT, nicht selten sogar überreicher Deko-
ration dieselben auch versehen wurden, man vermochte hier dennoch nicht
von Jenen ersten Entwickelungsstufen zu einer vonendeten Ausbildung des
Systemes ZQ gelangen; man brachte es nicht zu einer vollkommen organi-
sche" Entwlckelung. zu einem innerlich bedingten Zusammenhange der
Formenäman erreichte nicht, weder im Innern noch im Aeussern, jene ste-
tig zfufwarts schreitende Bewegung, welche doch als das Grundgesetz des
gßtliliscgen ßäustyllis erscheint und welche das höchste Ziel, die eigentliche
0 en ung esse en ausmacht.
In Qexrtschland finden sich vor dem Anfange des dreizehnten Jahrhun-
derts keine Gebäude, die auf die Anwendung des gothischen Systemes