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Rheinreise,
1841.
Erster
Abschnitt.
der Vorderseite erhalten wir hier keinen Aufschluss, indem von dieser keine
Spur mehr vorhanden ist und sie. wie aus den mitgetheilten Berichten her-
vorgeht, schon in früher Zeit verändert sein musste, Doch hat die Restau-
ration der Faoade eines antiken Gebäudes, da uns hievon so vielfache
Beispiele vorliegen, für uns keine erheblichen Schwierigkeiten; auch für
den Fall nicht, wenn man an der Vorderseite, nach Vitruvs Vorschlag, ein
Chalcidioum vorgebaut annehmen wollte, indem ein solches Baustück, wie
bekannt. im Wesentlichen nur aus einer Vorhalle und aus einem unbedeck-
ten Söller oder Altan über deren Decke bestand.
Beiläufig mag noch bemerkt werden, dass uns die eben besprochene
Basilika zugleich einen nicht unwichtigen Fingerzeig für die Tüpngraphig
des alten Trier giebt. Die Bedeutsamkeit ihrer Dimensionen lässt nicht
voraussetzen. dass sie in einer untergeordneten Gegend der Stadt belegen
gewesen sei; vielmehr wird sie ohne Zweifel wie überall die wichtigeren
Basiliken, am Forum, und zwar mit ihrer Vorderseite gegen dasselbe ge-
richtet, gelegen haben. Hieraus folgt, wenigstens mit grösster Wahrschein-
lichkeit, dass das Forum von Trier ungefähr die Stelle des heutigen Palast--
platzes eingenommen habe.
Blicken wir nunmehr noch einmal auf das Verhältniss der antiken Ba-
siliken zu dem christlichen Kirchengebäude zurück, so erscheint das Be-
streben. das letztere nach dem Vorbilde jener zu behandeln und seine
Formen demgemäss in reiner Classicität zu bilden, nicht als ein vollkom-
men berechtigtes. Die charakteristisch eigenthümliche Einrichtung des
Mittelschitfes in der altchristlichen Basilika, auf welcher von vornherein
die bedeutsame Wirkung des christlichen Kirchengebäudes beruht, ist in
der antiken Basilikanicht vorgebildet. Sie steht im Widerspruch gegen
die Gesetze des antiken Säulenbaues; sie ist eine Neuerung, welche die
antiken Formen und deren Eindruck auf das Auge und auf das Gemüth des
Beschauers verdirbt. Sie kann demnach mit den classischen Bauverhält-
nissen nicht ausgeglichen werden; sie gehört nicht der künstlerischen Ge-I
fühlsweise einer vergangenen Zeit an, sie deutet vielmehr auf neue Gesetze
auf neue Entwickelnngsmomente , und zwar auf diejenigen, welche sich in
den Baustylen des Mittelalters, in dem romanischen (sogenannt byzantjnp
sehen) und vornehmlich in dem gothischen, zu so grossartiger Consequenz
ausgebildet haben. Es dürfte somit vortheilhafter sein, nicht den unent-
wickelten Keim, sondern die in glänzender Fülle aufgeschlossene Blüthe
zum Gegenstande des künstlerischen Studiums zu machen 1)_
1) Schmidt hat (1845), in seinem oben angeführten Werke, die Vermnthung
ausgesprochen. dass die Basilika von Trier im Innertm meine;- Voraussßtzung
entgegen kein ß Sällleüßßußriell gehabt habe, Gegenwärtig wird sie bekannt-
lich, und zwar als grosser einschiffiger Raum, zur Kirche für die evangelische
Gemeinde bestimmt, wiederhergestellt. Es haben sich dabei 1195m alter Säulen-
stellungßn vorgefunden, diß in Solcher Art indess, ihrer Anordnung und ihrer
Behandlung nach, nicht mit 59m Bau gleichzeitig sein konnten, vielmehr Um-
wandlungen der inneren Anlage in der fränkischen Epoche anzngehören scheinen.