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Kunstgeschichte.
Pommersche
diesem Werke zu vcrmuthen ; istja doch die ganze Kunst der bemalten Holz-
schnitzwerke eben eine rein deutsche! Vielmehr scheint mir die Arbeit
nicht minder, und vielleicht noch mehr als jenen Italienern, de" YVeYken
eines deutschen Malers nahe zu stehen, desjenigen nämlich, der den hoch-
gerühmten (gegenwärtig zerstreuten) I-Iauptaltar der Klosterkirche Liesborn.
bei Münster in Wcstphalen, malte. Was in der Beschreibung der erhalte-
nen Stücke dieses Altares, die ich leider nicht aus eigner Anschauung kenne,
gesagt wird, stimmt im Wesentlichen mit den Schnitzwcrken des Altarcs
von Tribsees überein Der Liesborner Altar gehört aber bereits, einer
alten Nachricht zufolge, der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts an. Doch
ist die Geschichte der niederdeutschen Kunst, die bedeutend reicher
gewesen sein dürfte, als die hergebrachten Annahmen vermuthen lassen,
noch keinesweges klar genug, um aus einer einzelnen Angabe solcher Art
auf entscheidende Weise weiter schliessen zu können. Für den in Rede
stehenden Altar habe ich verschiedene Gründe, ein früheres Alter in An-
spruch zu nehmen. Dafür scheint mir der ganze Styl, der trotz der zarten
Vollendung darin herrscht, zu sprechen; ebenso auch der, zwar äusserliche
Umstand, dass die Darstellungen durchweg noch in einfachem, wirklichem
Relief gehalten sind. Am entscheidendsten aber ist die Beschaffenheit der
Darstellungen in den Seitenschreinen, die, wie bemerkt, die Passionsge-
schichte Christi (und zwar in je vier Abtheilungen übereinander) enthalten.
Diese sind von geringerem Werthe als die Darstellungen des Mittelschrei-
nes und offenbar, wie dies auch anderweitig so häufig gefunden wird, nur
von einem Gesellen des Meisters gearbeitet. Alle Elemente einer zartereu
innigeren Belebung, die dort hervortreten, fehlen hier, und statt dessen
herrscht, in handwerksmässiger Weise, der Styl des vierzehnten Jahrhun-
derts noch in seiner ganzen conventionellen Beschaffenheit vor. Für die
etwanige Annahme, dass die Flügel älter seien, wie der Hauptschrein, ist
aber auch kein Grund vorhanden; im Gegentheil sind ihre einzelnen Ab-
theilungen, denen des Mittelschreines entsprechend, mit gothischen Bal-
dachinen bekrönt, und über dem oberen Rande des Gesammtwerkes laufen
zwölf ganz gleiehgearbeitete Baldachine mit Brustbildern, wahrscheinlich
die Propheten darstellend, hin. (Die Bilder auf den Rückseiten der Seiten-
schreine konnte ich nicht sehen, da diese mit Klammern an der Wand be-
festigt waren.)
Wohl wäre diesem wundersamen Werke, das für den heutigen kirch-
lichen Bedarf nicht mehr passend und für das Volk unverständlich ist,
das sich in einem abgelegenen Städtchen und dort in einem wenig gün-
stigen Winkel der Kirche befindet, eine Aufstellung zu wünschen, die
seiner Bedeutung angemessen und in der es den Freunden der Kunst und
der Vaterländischen Vorzeit leichter zugänglich wäre. Im Wesentlichen,
und einzelne Beschädigungen abgerechnet, ist es wohl erhalten; vornehm-
lich ist zu bedauern, dass hier und da der feine Kreidegruntl, der der
Farbe zur Unterlage dient, abgesprungen ist. Möge ein gütiges Geschick
über diesem Meisterwerke wachen und es vor dem schlimmsten Verderben
dem einer Restauration gnädig bewahren 2)!
i) Vgl. Passavant. Knnstreise durch England und Belgien, S. 400. 2] Ich sah
vor etlichen Jahren in Berlin einen grossen geschnitzten Altar öffentlich ausge-
stellt, den man (es war ebenfalls ein mittelalterliches Werk) sorgfältig wiederher-
gestellt und an dem man alle Figuren mit schöner blanker Oelfai-be neu bemalt hatte!