isches Zeugniss für die Anschauungsweise des Mittelalters giebt, so ist da-
mit freilich noch Nichts über den künstlerischen Werth desaWerkes ausge-
5mocnen_ Alle diese Dinge könnten in rohen Formen und mangelhaften
Linien dargestellt sein , und die allgemeine Entwickelung des Gedankens
würde doch dieselbe bleiben. Von höherem und wahrliaftem Knnstwerthe
kann nur dann die Redesein, wenn der Gedanke auch jede einzelne Ge_
Stau durchdringt, wenn sie, persönlich belebt, in den Eorinen ihrer ganzen
körperlichen Erscheinung der Bedeutung entspricht, die in ihr enthalten sein
soll, wenn in ihr die abstracte Idee ein gefühlvolles und auf das Gefnhi
wirkendes Dasein erhält. Dies nun ist eben hier im höchsten Maasse der
Fall, und darum hat das Altarwerk seinen hohen, unvergleichlichen Werth,
nicht jener abstracten Ideen wegen, vielmehr trotz dieser Ideen. Denn
nicht eben alle darin enthaltenen Motive sind für eine künstlerische Be-
handlung sonderlich günstig; die Engelgestalten mit den Thierköpfen, die
ganze Procedur mit den Säcken, Mühlirlßhter und Backtrog wirkt auf das
Auge des Unbefangenen eher anstossig, llndßs {Sir unn diesen Anstoss zu
beseitigen, vorerst nöthig, sich ganz in den kindlich naiven Sinn des Mittel-
alters hinein zu versetzen. Hat man sich aber einmal in diese Symbolik
gefunden, so wirkt auch die Schönheit der Form, die in allen Theilen
dieses Werkes durchgeht, 11111 S0 fnächtlger auf den Sinn des Beschauers;
durchweg ist das feinste Gefühl in der Bewegung, der lauterste und zu-
gleich würdigste Fluss in den Linien der Gewandung, die zarteste Bildung
in den nackten Körperthßiißll, der edelste Ausdruck in den Gesichtern. Es
ist noch ganz der Styl des vierzehnten Jahrhunderts, auch mit seinen c0ii-
ventionellen Elementen, zugleich aber ein innerliches Lebensgefühl darin,
das sich bereits zu einer gediegenen Charakteristik erhebt; die feierliche
Würde der Apostelgestalten bildet einen treilenden Gegensatz zu den, dem
Loben des Tages entnommenen Abendniahlsscenen; und ebenso ist in die-
sen die bewusste Haltung der Geistlichen aufs Glücklichste der frischen
Naivetät der Laien entgegengesetzt; und wiederum anders und vielleicht als
der Schönste Theil des Werkes erscheint die stille, demuthvolle Hoheit der
vier Kirchenlehrer. Die Zartheit der Arbeit erstreckt sich bis auf das
kleinste Detail; so ist selbst der Kopf des kleinen Christkindes (der über-
(lies sehr gelitten hat) von einer wahrhaft bewunderungswürdigen Schönheit.
Einen wesentlichen Theil an all diesen verschiedenartigen Vorzügen hat
übrigens die Bemalung, besonders die der nackten Körpertheile, die, je
nach dem besonderen Charakter der einzelnen Figuren,_verschiedenartig
abgestuft und für die Harmonie des Ganzen sehr wirksam ist; dem Auge
ist dabei ein Leben, eine Innigkeit, eine Milde des Blickes gegeben, die
auf keine Weise durch irgend ein, der blossen Plastik zu Gebote stehen-
des Mittel ersetzt oder ergänzt werden könnte. Die Vergoldnng der Ge-
wänder erscheint hier bereits ausgebildet; doch kommt neben dem Golde
auch silberner Stoff vor, und mannigfach ist der Glanz der Gewänder
durch verschiedenartig schöne, darauf gemalte Teppiclimuster gebrochen,
was für den harmonischen Einklang des Ganzen wiederum nicht unwesent-
lich mitwirkt.
Vergebens aber ist es, durch Worte die Schönheit des Werkes schildern
zu wollen. Besser vielleicht gebe ich einen Begriii davon, wenn ich an die
voi-züglichStßn Meisterwerke eines Fiesole und Gentile da Fabriano erin-
nere fmit denen es in mehr als einer Beziehung übereinstimmt. Doch ist
kein Grund vorhanden. rlesshalh etwa eine italienische Meisterhand in