Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

Bildende Kunst. 
Mittelalter. 
Schnitzwerke. 
797. 
liclier Strenge die Formen des vierzehnten Jahrhunderts in einer etwas 
edleren Durchbildung, als er uns an den Apostelüguren jenes Bronzeleucib 
teys zu Colbßrg vom J. 1327 erschienen war; an den Gewändern zeigt sieh 
eine ansprechend reiche Linienführung und auch in andrer Bßziehun ist 
das Kostüm reich gebildet. Die Körperverhältnisse der Figuren 81,51 im 
Ganzen etwas derb, dabei fehlt es aber keinesweges an Gefühl; einige Köpfe 
besonders weibliche, sufd von STOSSCY Anmuth; einige männliche sind iri 
glücklicher Charakteristik durchgeführt. Einen auffallenden Unterschied 
dieser Arbeit von den folgenden, der wohl ebenfalls als eine Eigenthiim- 
lichkeit früherer Zeit zu betrachten sein dürfte, bildet der Umstand, dass 
nicht bloss die nackten Körperthßllß, sondern auch die Gewänder mit bun- 
ter Farbe, ohne vorherrschende Vergoldung, bemalt sind; doch ist die Be- 
nialung, besonders in den Kopfen, Zart gehalten. Auf den Flügeln des 
kleinen Schreines sieht man werthlose Gemälde späterer Zeit. 
Als den ersten der elgefltlfßhßll Schnitzaltäre nenne ich das grosse 
Altafwerk in der Kirche von Ilribsees, das gegenwärtig an der Wand des 
nördlichen Seitenscliiffes befestigt ist. Ich vermuthe, dass auch dies Werk 
noch dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts, wenn nicht etwa dem An- 
fange des folgenden, angehört. Ich zähle es somit zu den alterthümlichsten 
der in Rede stehenden Gattung; gleichwohl halte ich es für das anziehendste 
und merkwürdigste des ganzen Kreises,  _ja, für das schönste und anmuth- 
vonste der sämmtlichen Kunstwerke, die sich in Pommern vorfinden, und 
für eine der Hauptzierdendergesammten deutschen Kunst. Doch hat die 
Darstelligig des Altares, die sich im Kreise der mittelalterlichen Symbolik 
bewegt, ür uns zunächst etwas Befremdliches, und es ist nöthig, sich vor- 
erst über ihre Bedeutung und über den Grundgedanken, der in ihr waltct, 
zu verständigen. Der Grundgedanke ist derselbe, der so häufig durch die 
reicher zusammengesetzten Altarwerke des christlichen Mittelalters hingeht; 
der der Erlösung des Menschen durch den Opfertod Christi; aber er be- 
zieht sich hier nicht allein auf das historische Factum der Kreuzigung, 
sondern auf die stete Erneuung der Erlösung durch die Einsetzung des 
heiligen Abendmahls, auf die stete körperliche Gegenwart des Erlösers im 
Abendmahle. Der Zweck des Altares ist, die Bedeutung des Abendinahles 
 nach den Lehren der Kirche  in einer umfassenden Bilderschrift aus- 
zudrücken 1). So enthält der Mittelschrein eine Reihe tigürlicher Darstel- 
lungen, als deren Schlussmomente die Hostie und das Abendmahl Selbst 
erscheinen, während auf den Seitenschreinen das historische Factum, auf 
welches beide zurückdeuten, die Leidensgeschichte Christi, dargestellt ist. 
Der Mittelschrein zerfällt in neun einzelne Scenen, von denen je drei 
und drei sowohl in horizontaler, wie in vertikaler Richtung in näherem 
Zusammenhange stehen. In der Mitte sieht man oberwärts den Schöpfer 
der Welt, Gott-Vater mit Engeln, Sonne und Mond zu seinen Seiten. 
Darunter stehen vier Gestalten, dieselben, die nach der Vision des Pro- 
pheten den Donnerthron Jehovalüs trugen und die eine alte Tradition zu- 
gleich zu den Dienern des menschgewordenen Wortes, zu den Genien der 
Evangelisten, gemacht hat: vier geflügelte, engelartige Wesen, von denen 
der eine ein menschliches Haupt trägt, der zweite das eines Adlers, der 
dritte das eines Stieres, der vierte das eines Löwen. Sie stehen hier als 
1] Auf ähnlicher. mf-zhrfacll vorktommende Darstellungen der Transsubstantia. 
tignslghyg hat C. Grunexsen, 1m "Nlklaus Manual", S. 74, hingedeutet.
	        
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