Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

Bildende 
Kunst. 
Mittelalter. 
Gawölbmalereien. 
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Nebenfclder scheiden sich, rücksichtlich ihrer Darstellungen, in Zwei ver- 
schiedene Gattungen. lii denen, welche an die Durchschneidung der Kreuz- 
gni-ie in der Mitte der Gewölbe anstosscn, sind überall musicirende und 
singende Engel angebracht; in den übi-igen aber, die sich in den äußeren 
Winkeln der Felder beiindena sieht man _einzelne Figuren, die, wie es 
scheint, keine besondre historische oder kirchlich symbolische Bedeutung 
haben. Wenn ich diese Figuren richtig verstehe, so ist ihr Zweck ein 
mehr dekorativer, aber nicht der einer milssigen Raumausfüllung; vielmehr 
scheinen sie mir angewandt, nni das architektonische Gerüst des Gewölbes 
zn beleben, die Kräfte, die dasselbe halten und tragen, körperlich zn Ver_ 
sinnlichen. Bei einigen Figuren wenigstens tritt diese Anschauungsweise 
ganz entschieden hervor, und ich wüsste sie, was ihrc Idee anbetrifft, nni- 
mit den wundersamen Ncbeiiiiguren in dcr von Michelangelo gemalten 
Denke der sixtinischen Kapelle zu Rom zu vergleichen. Ein solches Auftre- 
ten selbstschöpfcrischer, von äusserlicher Mystik freier, rein künstlerischer 
Gedanken fordert aber alle Anerkennung,__znmal in Rücksicht auf eine Zeit, 
da die grösseren Werke der bildenden Kunst insgemein noch den Satzun_ 
gen der Kirche-zu folgen hatten, Darum zeigt sichhber auch in de; 
Zeichnung und Coinposition der in Rede stehenden Figuren ein freierer, 
lebentligerer Sinn; unter ihnen findet man einzelnes recht Trcilliche, wäh- 
rend die übrigen Gemälde, besonders die Hauptdarstellnngen, die 1iei-ge_ 
brachten Typen des vierzehnten Jahrhunderts nur in mittelmässiger Weise 
wiederholen. Die Begebenheiten sind in diesen Bildern nur ganz trocken, 
ohne individuell poetische Auffassung, nacherzählt; in den Gestalten ist 
wenig kräftiges Lebensgefühl, in den Bewegungen wenig grossartiger Sinn- 
das Nackte erscheint ziemlich nnfdrmlich, und nur die weite Gcwandung 
hält sich auch hier zumeist in der Würde, die von dem Style des vier- 
zehnten Jahrhunderts fast unzertrennlich scheint. Die Malerei besteht, 
in der Weise jener Zeit, nur in einfacher Colorirung. Merkwürdig aber 
ist es, dass die Farben sich, wo die Bilder nicht etwa gewaltsam verletzt 
worden, licht und rein erhalten haben, wie es selten bei so alten Wand- 
gcmälden der Fall ist. Sehr merkwürdig ist überhaupt das Vorhandensein 
dieser grossenBildermasse, wie in Deutschland wohl kein zweites Beispiel 
ähnlich ausgedehnter Gewölbmalereien aus mittelalterlicher Zeit zu linden 
sein dürfte. Ich glaube, dass dergleichen überhaupt in Dsnisciiiaiid mu- 
gglign vorgekommen ist, da die Bemalung der Gewölbkappen mit schweren 
figurenreichcn Stellen dem leicht einporstrebenden Charakter der gothischen 
Bauweise widerspricht; dass solche Bemalung sich in'ltalien so häufig 
findet, beruht, neben andern Gründen, wohl mitauf dem Umstande, dass 
sich dort überhaupt iinr ein ziemlich nntergeordnetes Verständniss des 
gothischen Baustyles zu erkennen giebt. So wirken denn auch in der 
Marienkirohe zu Colberg diese Gewölbmalcreien nicht eigentlich vorthcil- 
haft für den architektonischen Gesammteindrnck; sie bilden mehr nur ein 
deiikwürdiges Zeugniss für die frühe Opulenz der Stadt und des Stiftes, 
die nach möglichst reicher Dekoration ihres erhabensten öffentlichen Ge- 
bändes verlangen mochte. (Dafür zeugen ebenso auch die beiden gleich 
alten Prachtwerke, der oben besprochene 'l'aiifkessel und der siebenarmigo 
Leuchter.) Gegenwärtig wird übrigens der schwere Eindruck jener Ma- 
lereien durch die grell ahstcchcntle weisse Uebcrtünchung der übrigen 
inneren Bautheile ansehnlich und unzweckmässig verstärkt. 
Sgiist habe ich von alten Wandmalereien iinr noch in der Mni-icn-
	        
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