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Pommersche Kunstgeschichte.
50111" clgenthümhch ist die Facade des Rathhauses von Stralsund.
Sieben schlanke Strebethürmchen, mit hohen Spitzen versehen , steigen zu
älßißher Höhe empor und schliessen eine Reihe von sechs, ebenfalls in
gleicher Höhe liegenden Giebeln zwischen einander ein. Unterwärts öffnet
Sich, durch sechs starke Bögen , eine geräumige Halle, deren gothisches
Gewölbe im Innern theils von achteckigen Pfeilern, theils von schlanken
achteekigen Säulen getragen wird. Die Reihe der eben genannten sechs
Bögen ist aber im Aeusseren. ebenso wie das darüber befindliche erste
Stockwerk, modernisirt; eine alte Bauzeichnung 1) stellt die Bögen als ein-
fache Spitzbögen, die Fenster des ersten Stockwerkes dagegen bereits als
mit gothischen Flachbögen überwölbt dar. Darüber folgen sodann, je zwei
nebeneinander, hohe Fensterblenden, die im Halbkreisbogen überwölbt
sind; die kleinen gedoppelten Bodenfenster innerhalb dieser Blenden haben
gebrochene Bögen. In den Giebeln endlich sind grosse kreisrunde Oetf-
nungen, die gegenwärtig leer erscheinen, die sich aber in jener alten Zeich-
nung als mit kleineren Ruudscheibeu und umherlaufenden Sternen ausge-
füllt zeigem Die besonderen Formen, welche die ursprüngliche Anlage der
Fagade enthält, deuten, nach meiner Ansicht, wiederum ziemlich bestimmt
auf die Bauperiode des fuufzehnten Jahrhunderts; ich kann somit derjeni-
gen Ansicht nicht beiptlichten, welche auch in dieser Fagade einen Thejl
des bald nach dem J. 1316 erbauten Rathhauses erkennt. Andre unter den
vorhandenen älteren Bautheilen dürften aber sehr wohl aus jener früheren
Zeit herrühren. Eine ähnliche Architektur scheint auch das Rathhaus
V0" Stettin gehabt zu haben. Die oben erwähnte alte Ansicht Stettin's
lässt in seiner Darstellung Reihen gleich hoher Strebethürmchen erkennen.
Hainhofer (Reisetagebuch vom J. 1617, S. 46) schildert das Rathhaus: ,s0
von geferbten branten Steinen gar auf alte Art mit hohen durchbrocherien
Mauern oder Schiessen erbawet, und der gescheggeten abgesetzten Farben
halber auch schier an die Thurmkürchen zu Siena oder an St. Johanns
Thurm zu Florenz mahnet, allein dass hier nur gebrannte Stain, Jenes aber
rothe, schwarze und weisse Marmelstein sein." Ebenso sagt eine andre
alte Beschreibung, welche der Zeit vor den Verwüstungen des Jahres 1677
gilt, von Stettin: "Es hat diese schöne Stadt viel wohlgebaute Häuser. Das
Rathhaus am Markt in der Stadt ist auch sehenswürdig, hat hinten und
vornen grosse Giebel, durchsichtig ausgearbeitet, dass sich zu verwundern
An der hintern Facade des, gegenwärtig in neueren Formen erscheinenden
Rathhauses ist eine sehr zierlich ausgebildete spitzhogige Mauernische
theilweise erhalten.
Die P'0rmen des gothischen Baustyles haben sich in Pommern übri-
gens bis tief in das sechzehnte Jahrhundert hinein erhalten und sie zeigen
an den Fagaden einiger Prachtgebäude dieser Zeit noch eine schöne und
eigenthümliche Nachblüthe. Dahin gehört zunächst der eine erhaltene
Mitgetbeilt in Brandenburgs Geschichte des Magistrates der Stadt Straf-
snnd. Vergl. im Uebrigen den Aufsatz von Zober; das Stralsundur Rathhaxls,
Sundine, 1835. Nr. 63, S. 251, ff. z) Pommerscher Kriegs-Postillion. Erstes
Heft, 1678