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Kunstgeschichte.
Pommersche
lieh den Nachrichten der Wesselschen Bibel (S. 10), wo die Kostenberech-
nung des ganzen Gebäudes mitgetheilt wird, dieBemerkung zugefügt: "ltem
men helft van olden murelüden gehorett, dat tho der tidt, done de kerke
js angehauen tho murende, hebben daran gearbeydet by verdchaltihundert
muermeysters ane de thopleger." (Dass er und seine Berichterstatter hie-
bei wirklich die ganze Kirche im Sinne gehabt, ergiebt die grosse Anzahl
der Maurermeister, die für den blossen Thurmbau auf keine Weise passen
könnte.) Hiebei ist endlich auch noch die obige Nachricht h) in Erwägung
zu ziehen. Auf den Hauptthurm kann sie nicht gedeutet werden, da man
sonst den Berichterstatter mit sich selbst in Widerspruch setzen würde;
auch benennt Wessel den Hauptthurm an allen Stellen kurz, während er
hier ausdrücklich vom Glockenthtlrme spricht, dem das Sparrwerk aufge-
setzt worden sei. Unter diesem wird man sich wohl keinen andern als
den kleinen Thurm über der Mitte des Kirchendaches (in seiner ursprüng-
lichen Gestalt) denken können, und dürfte somit das Jahr 1460 als das-
jenige bezeichnen, in welchem das Kirchengebäude im Wesentlichen seine
Vollendung empfangen hatte. Alles bisher Angeführte erhält aber seine
volle Bestätigung durch die Betrachtung des Gebäudes selbst, das mit dem
Thurmbau eine einzige, auf die gegenseitige Wirkung berechnete Gesammt-
anlage bildet, und dessen architektonischer Styl init dem des Thurmes
ebenso übereinstimmt, wie derselbe von dem Styl der besseren Werke des
vierzehnten Jahrhunderts (namentlich der Nikolaikirche zu Stralsund) ent-
schieden abweicht und vielmehr bereits das Gepräge einer bedeutenden
Ausartung in sich trägt. Ob einzelne geringe Reste des älteren Kirchen-
gebäudes bei dem Neubau benutzt sind, ob namentlich jene mit eisernen
Bändern versehenen Chorpfeiler, von denen die Nachrichten b) und c) spre-
chen, dahin gehören, wage ich für jetzt nicht zu entscheiden. Doch schei-
nen mir gerade die beiden Nachrichten hiefür von keinem sonderlichen
Gewichte, wie ich dies schon oben angedeutet habe; es ist leicht möglich,
dass auch diese Pfeiler dem Neubau angehören und, durch irgend einen
beliebigen Umstand Furcht eintlössend, vielleicht schon während des Baues
oder bald nach dessen Vollendung jene starken Bande nöthig machten.
Jedenfalls muss man annehmen, dass, wenn auch alte Stücke-beibehalten
sein sollten, diese doch so umgewandelt und dem Neuen angepasst sind,
dass das Ganze nichtsdestoweniger durchaus als Ein Guss zu betrachten ist.
Die Marienkirche ist durchaus in kolossalen Massen erbaut, und die
Absicht, hiedurch eine grandiose Wirkung zu erreichen, herrscht entschie-
den vor. Aber das reine künstlerische Gefühl ist nicht mehr vorhanden,
und so hebtdessen Mangel, wenigstens für das innere, einen grossen Theil
der Wirkung auf. Die Marienkirche hat, gleich den beiden andern Haupt-
kirchen Stralsunds, niedrigere Seitenschiffe neben einem höheren Mittel-
schiff. Letzteres ist zu riesiger Höhe emporgeführt und die Seitenschitfe
streben ihm, wenn sie auch die untergeordneten Theile des Baues bleiben,
doch in einer Weise nach, dass nicht bloss, fast wie in der Jakobikirche,
das Verhältniss der Entwickelung des einen Theiles aus dem andern we-
sentlich beeinträchtigt wird, dass vielmehr die l-Iöhenverhältnisse überhaupt
in einer Weise überwiegend werden, welche den Eindruck harmonischer
Ruhe geradehin vernichtet. Die hlassenwirkung noch weiter zu erhöhen
ist sodann die, seit der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts nicht
mehr beobachtete Einrichtung des Querschiifes wieder zur Anwendung ge-
kommen, und zwar so, dass auch zu dessen Seiten die niedrigeren Räume