Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

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Pommersehe 
Kunstgeschichte. 
diese Denkmale des ehrenhaftesten Selbstgefühles, das aber nicht sich, son- 
dern dem Herrscher im Himmel die Ehre giebt, aus dem Schooss der 
Städte hervorgerufen; eine gemeinsame Weise der Formenbildung,  ob 
auch Unterschiede im Einzelnen durch die verschiedenen Gegenden des 
pommerschen Landes und durch die verschiedenen Jahre des Baues bedingt 
seien,  tritt an diesen Werken hervor. Es ist sehr natürlich, dass eine 
solche Uebereinstimmung in den Hauptformen eintreten musste, Sobald das 
Bedürfniss zur Aufführung bedeutender Bauten allgemein wurde; Kunst 
und Kunst-Handwerk mussten nun von Ort zu Ort getragen werden; mannig- 
fach vermehrte gegenseitige Mittheilung, Ausbildung des Befahigteren zur 
Meisterschaft, Beobachtung der Lehren des Meisters von Seiten der minder 
Begabten waren die Folge davon. Aber ebenso natürlich ist es, dass sich, 
bei all diesen Umständen, dem künstlerischen Schaffen allmählig ein mehr 
handwerksmässiger Betrieb beimischte, dass hier und dort an die Stelle des 
freien, lebendigen Gefühles eine trockne Regelrichtigkeit trat, dass zuletzt 
nur eben noch die von dem Künstler vorgeschriebene Hauptform übrig 
blieb und statt der organischen Klarheit des Einzelnen theils nüchterne, in 
sich mehr oder weniger bedeutungslose Formen, theils willkürlich phan- 
tastische Zusammensetzungen der Formen erscheinen. Das haben Wir aber 
nicht als einen künstlerischen Mangel auf Seiten unsrer Vorfahren zu be- 
trachten, das ist überall, zu allen Zeiten und in allen Schulen,  selbst 
die Wundererscheinung des griechischen Geistes macht nicht gänzlich eine 
Ausnahme,  der Fall gewesen. Das edelste Gefühl für architektonische 
Formenbildung finden wir an einzelnen Theilen der im vorigen besproche- 
nen Baureste, am Vollständigsten in der Marienkirche zu Pasewalk und 
im Schiff der Domkirche zu Cammin, so einfach auch diese Anlagen ge- 
halten sind; aber auch in den Gebäuden, die dem Anfange des vierzehn- 
ten Jahrhunderts angehören, entwickeln sich noch grosse, zum Theil über- 
raschende Schönheiten. Als das merkwürdigstc unter diesen nenne ich 
besonders die Nikolaikirche zu Stralsund, die weiter unten beschrieben 
werden soll. Als eine sehr grossartige und schöne Anordnung aber, die 
mit dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts erscheint und fürtan in den 
pommerschen Kirchenbauten, bis auf wenig einzelne Ausnahmen, beibe- 
halten wird, ist die Einrichtung zu bezeichnen, dass die Thürme nicht 
mehr als isolirte Bautheile an die Kirchen anlehnen, sondern sich im hohen 
Bogen gegen das Innere öffnen, dass solchergestalt eine weite Vorhalle des 
inneren Raumes vorhanden ist, die auf verschiedene Weise (je nachdem 
Ein Thurm oder zwei Thürme angebracht sind) mit dem Mittelschiff so- 
wohl, wie zumeist auch mit den Seitenschiffen in Verbindung steht. Lei- 
der wird diese Halle gegenwärtig meist überall durch die Orgelbauten 
ausgefüllt, so dass ihre Wirkung für das Innere verloren geht. 
Jene Unterschiede der lebendigercn und der mehr nüchternen oder 
willkürlich phantastischen Formenbildung werden als maassgebend für das 
verschiedene Alter der Gebäude des vierzehnten Jahrhunderts zu betrach- 
ten sein. Andre Unterschiede dürften in Rücksicht auf die Zeitfolge nicht 
in Betracht kommen. S0 ist z. B. bei den kirchlichen Gebäuden des vier- 
zehnten Jahrhunderts, Welche Vorpommern angehören, grösseren Theils 
eine eigenthümliche Weichheit der Formenbildung an gewissen charak- 
teristischen Details vorherrschend, während man bei den hinterpommerschen 
Bauten eine grössere Strenge und Gemessenheit des Details wahrnimmt, 
ohne dass jedoch weder durch das Eine noch durch das Andre die Snhönn
	        
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