Bilderhandschriften
des Mittelalters.
Sehr häufig ist die Bewegung, dass die Rechte mit emporgcrichtetcm
Zeigefinger aufgehoben wird. Oft bezeichnet diese Bewegung nur den
Gegenstand, von dem eben gesprochen wird, z. B. gleich im Anfange, wo
Aeneas von Troja fortsehifit und auf die Stadt zurüekdeutet; ebenso, wie
er vor Karthago ankommt. Oft auch liegt darin noch der Ausdruck plötz-
licher Aufmerksamkeit, z. B. wo Aeneas mit einem Gefährten vor der Burg
Laurente hält und Lavinia den Pfeil zu ihm hinausschiessen lässt; wäh-
rend jene Bewegung hier das Erstaunen des Aeneas auszudrücken scheint,
legt ihm der Gefährte seine Hand vertraulich auf die Schulter, wie um
seine Meinung zu sagen. Anderweit bezeichnet dieselbe Bewegung auch
Vermahnung oder Drohung, z. B. wo die Gemahlin des Latinus mit ihre;-
Tochter Lavinia spricht:
Sag mir drat vberr lvt.
Waz ist dir geschehen. du vbel Iwt.
oder im folgenden Bilde, wo sie dieselbe zürnend verlässt, weil sie ihre
Liebe zum Aeneas erfahren. Ebenso in dem Bilde, wo Ascanius den zah-
men Hirsch der Silviane geschossen hat, und deren Bruder zürnend in die
Burg geht, um die Uebelthat zu rächen.
Ruhiges Sprechen und Darlegen eines Verhältnisses wird zuweilen
durch die flach ausgestreckte Hand begleitet.
Häufig kommt ferner ein unthätiges Halten oder Kreuzen der Hände
vor dem Leibe, oder ein ähnliches Anfassen des Gürtels oder der Gewän-
der vor. Dies bezeichnet überall die Niehttheilnahme am Gespräch, das
Empfangen der Befehle odcr der Botschaften u. s. w. Gewöhnlich ist diese
Bewegung mit vorgeneigtem Haupte begleitet. Aehnlich wie im Sachsen-
spiegel, WO diese Bewegung freilich bestimmter, aber auch minder künst-
lerisch, dahin ausgeprägt ist, dass die bezügliche Person stets den rechten
Arm mit dem linken fest hält.
Aus diesen Elementen entwickeln sich schon grösserc Darstellungen
von Gesprächen, in denen die verschiedene Theilnahme der Einzelnen be-
stimmt ausgedrückt ist. Z. B. in dem Bilde, welches den Befehl der Götter
an Aeneas, die Dido zu verlassen, darstellt. ln einer Ecke des Bildes sieht
man hier Wolken, aus denen eine Göttergestalt (in der gewöhnlichen Tu-
nika) hervortaueht und die Hand erhebt, mit dem Spruchbande;
var hinne des mac dehein m! wesen.
ob dv mit den dinm wellest genesen.
Vor dem Gotte steht Aeneas, indem er mit beiden Händen seinen Shaw]
fasst und das Haupt verneigt. Neben ihm zwei Männer, von denen der
erste beide Hände mit aufgeriehtetem Zeigefinger cmporhebt, die Wichtig-
keit dieses Befehlcs bezeichnend, während sich der zweite bereits zur Er-
füllung des Befehlcs umwendet.
Die Hand am Barte scheint eine Bitte zu bedeuten. So in dem schon
genannten Bilde, wo Aeneas vor Karthago ankommt und der Thorwart, der
das Thor geöffnet, ihn in die Stadt einzuladen scheint.
Der Schwur wird durch die Erhebung von Zeige-und Mittelfinger (der
Daumen iSt auf der dem BeSChauer abgewandten Seite der Hand) ausge-
drückt. Eigenthümlieh macht sich diese Bewegung, wo Lavinia, einsam in
ihrer Liebesnoth. dazu die Worte spricht:
Imwnrinc was ist mir gcsrhrhen.
in. so chvrzen stvnden.