Einleitung.
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denn das alte Schnitzwerk eben ohne Weiteres hinaus. Mehrere Kirchen
die jetzt so ganz leer erscheinen (z. B. die lliarienkirche zu Stargard) 50118,;
noch vor wenig Jahrzehnten einen grossen Rcichthum solcher Bildwerki,
besessen haben. Auch war es mir selbst beschieden, ein Beispiel dieser
Barbarei mit eigenen Augen zu sehen. Die Kirche von wurde
gerade restaurirt, als ich dieselbe besuchte. Man hatte hier ebenfalls alles
Bildwerk aus der Kirche entfernt; man hätte das mit geringer Mühe, wollte
man doch einmal ein kahles Haus haben, irgendwo zusammenstellen und
für Freunde der Kunst und der historischen Erinnerung aufbewahren kön-
nen: es war aber für zweckmässiger befunden worden, Alles auf dem
kleinen Boden der Sakristei übereinander zu werfen, so dass Vieles ver-
dorben war und dass das zierliche Ornament in reichen Trümmerhaufen
den Boden bedeckte. Und es handelte sich hier nicht etwa um Arbeiten
von untergeordnetem Werth; vielmehr war Alles, was ich noch ans Licht
ziehen konnte, von guter, zum Theil sogar von sehr ausgezeichneter Arbeit.
Das einfache Volk theilt aber, Gott sei Dank, eine solche Barbarei nicht;
die Frau im Gasthofe zu Freienwaldc, wo ich eingekehrt war, sagte mir,
es habe sie schon manche Thräne gekostet, dass sie nun die lieben alten
Bilder, die, so lange sie denken könne, in der Kirche gestanden, nicht
wieder sehen solle.
Möge es mir verstattet sein, an diese Darstellung des gegenwärtigen
Zustandes einige besondere Bemerkungen anzuknüpfen. Zunächst über die
Restauration der Kirchen, in künstlerischer Beziehung. Mir scheint, dass
deren Ausführung überall, wo es sich nicht um die Ergänzung bedeutender
Theile handelt, auf sehr einfachen Principien beruhe. Es kann dabei eben
nur die Absicht zu Grunde liegen, das Ursprüngliche in seiner eigenthüm-
liehen Gestalt wieder ans Licht treten zu lassen; also vor Allem: vollkom-
mene Reinigung der architektonischen Formen von all dem Unwesen. wel-
ches eine spätere rohe Zeit darüber gehäuft hat, und Wiederherstellung
der etwa beschädigten Theile im Style der erhaltenen. Als Anstrich des
Inneren würde ich statt des kalten Weiss und statt der nicht minder nüch-
ternen, hier und da beliebten Rosafarbe eine warme sandsteinartige Fär-
bung (aus lichten, gelb-bräunlich-grünlichen Tönen gemischt) vorschlagen,
die dem Auge vorzüglich wohlthnt und die mit dem ernsten Charakter
Illlsrer Kirchen am Besten übereinstimmt Was von mittelalterlichen Ge-
genständen in den Kirchen vorhanden ist, dürfte ganz ungestört an seiner,
111 der Regel sehr zweckmässigen Stelle zu erhalten sein; Gemälde und
Schnitzwerke würde man höchst vorsichtig zu reinigen und vor aller Re-
stauration, wenn nicht ein vorzüglich anerkannter Restaurator dafür zu
gewinnen wäre, zu hüten haben (damit nicht etwa ähnliche Unbilden vor-
fallen, wie in der Colberger Marienkirche über die Cranachschen Bild-
lllsse und über den schönen Schlietferfschen Kronleuchter ergangen sind).
Auch gegen die Denkmale späterer Zeit, die sich in unsern alten Kirchen
Yßriinden, möchte ich durchaus kein Anathem aussprechen: denn das eben
1st das Grossartige an diesen Kirchen, dass sie viele Geschlechter in sich
haben vorübergehen sehen, und dass sie, ohne an dem Eindruck ihrer
Grösse zu verlieren, die Spuren dieser verschiedenen Geschlechter in sich
1) Noch besser freilich wird es sein, wenn man den Anstrich ganz ent-
fernen und die reinen Ziegellageii, wie sie wenigstens bei den älteren Kirchei.
llrsppijngnch jedenfalls erscheinen, wieder zum Vorschein bringen kann