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Pommersche Kunstgeschichte.
heimgesucht worden, dass nach dem Ende der Qualen des dreissigjährigen
Krieges nur acht Menschen in der Stadt übrig blieben; vile andre Orte
theilten mehr oder weniger ein solches Schicksal. Auch das achtzehnte Jahr-
hundert führte noch manche harte Prüfungen herauf. Da darf es uns nicht
befremden, wenn heutiges Tages viele kirchliche Gebäude, von denen wir
anderweitig Kunde besitzen, gänzlich verschwunden sind; wenn die erhal-
tenen Kirchen noch gegenwärtig oft genug einen wüsten Eindruck auf uns
machen, oder wenn sie ihrer freieren Zierden, ihrer Thürme, ihres rei-
cheren Fensterschmuckes, der Thürmchen über den Strebepfeileru und
ähnlicher Dinge entbehren. Da müssen wir es im Gegentheil bewundern,
dass noch so viel Herrliches sich erhalten hat. Und wenn wir aus dem
Vorhandenen einen Schluss auf den ursprünglichen Zustand machen, wenn
wir uns die alten Gotteshäuser in der Reinheit ihrer Formen vergegen-
wärtigen, wenn wir sie, wenigstens die bedeutenderen, uns mit einem
ähnlichenReichthum an Bildwerken ausgefüllt vorstellen, wie z. B. die
Nikolaikirche zu Stralsund noch heute besitzt, so tritt uns freilich das
Bild- einer künstlerischen Vollendung und eines Lebens im Genüsse der
Kunst vor Augen, das wohl geeignet ist, dem Bedeutendsten an die Seite
gestellt zu werden.
Das mannigfache Verderben, welches über die Werke der pommerschen
Kunst heraufgeführt ist, mag zum Theil wohl an den oben berührten Vor-
urtheilen Schuld haben. Die traurige Periode, von der ich eben gespro-
chen, vernichtete zugleich grösstentheils, nicht blos die Mittel, das Zer-
störte zu ersetzen und würdig auszubessern, sondern auch die Fähigkeit
dazu. -Das edlere Handwerk musste unter jenen Stürmen mit zu Grabe
getragen werden, und es konnte sich wohl nur selten mehr, als die roheste
Geschicklichkeit, deren der Mensch zur Herstellung eines sicheren Ob-
daches einmal bedarf, erhalten haben. So ward, indem man zu den Aus-
besserungen des Beschädigten schritt, auch nur auf eine roh handwerks-
mässige Weise verfahren, und so musste sich, indem man das Schlechte
neben dem Edeln ertragen lernte, auch der Sinn für das letztere mehr
und mehr abstumpfen. Und leider, ich muss es hinzufügen, so schmerz-
lich es ist, denn vielleicht können diese Zeilen zur Beseitigung der Uebel-
stände beitragen, leider ist es auch noch heute, einzelne bedeutsame
Ausnahmen abgerechnet, nicht gar viel anders. Gedankenlog wird in den
Kirchen noch immer Tünche über Tünche gestrichen, so dass die feinen
Formen der Gliederungen oft fingerdick verschmiert sind; gedankenlog
wirft der Maurergesell, den man zur Ausbesserung etwaniger Schäden be-
stellt, unforrnliche Kalklagen über die Bautheile, die von hoher Meister-
hand geformt und mit sinnigem Fleisse ausgeführt wurden. Solche Er-
scheinungen stossen denn freilich das feinere Gefühl ab, und leicht trägt
derjenige, der seinen Abscheu vor diesen Barbareien nicht überwinden
und sich nicht zu weiterer Forschung anstrengen mag, seinen Unwillen
auf das ursprünglich Vorhandene über. Aber auch von andern, noch
schlimmeren Barbareien habe ich hier zu berichten. Der Werth der mittel-
alterlichen Schnitzwerke, die sich in unsern Kirchen vorfinden, in denen
sich eine so eigenthümliche, in vielen Erscheinungen eine so hoch vollen-
dete Kunstblüthe offenbart, scheint noch gar wenigen Augen einzuleuchten.
Es tritt öfters wie sich das zwar heutiges Tages auch in andern Gegen-
den bemerken lässt eine Art von Manie hervor, die alten Kirchen im
Inneren recht glatt und kahl und inhaltlos zu sehen, und da wirft man