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Schlosskirche zu Quedlinburg etc.
Da ergriff sie, auf der Höhe des Berges stehend, eine Brätzel und warf sie
von oben hinunter. Von Ort zu Ort über Steine und Dornen rollte sie un-
versehrt hinab und kam gerade in die Hände des Armen, für den Sie be-
stimmt war. Eine grosse Menge Menschen stand umher und bezeugte das
wunderbare Ereigniss.
In Quedlinburg hielt sie sich auf, als ihr geliebter Sohn Heinrich, das
Ebenbild seines Vaters, und wie jener nicht minder durch männliche Schön-
heit, als durch Thätigkeit und Tapferkeit ausgezeichnet, im November 955
in Bayern starb 1). Die Abgesandten, denen es aufgetragen war, die Todes-
botschaft zu überbringen, wagten es nicht, sie auszusprechen. Als sie die
Briefe gelesen hatteydie jene mitgebracht, ergriff sie der tiefste Schmerz.
Sie entfärbte sich; ihre Glieder zitterten; in dem Buche, welches sie in der
Hand gehalten hatte, verbarg sie ihr Gesicht; da tlossen ihre Thränen; den
ganzen Tag nahm sie keine Speise zu sich. Zur Kirche rief sie dann die
Jungfrauen des Stiftes, für die Seele des Hingeschiedenen zu beten; dort-
hin begab sie sich selbst. In rührendem Gebet flehte Sie kßißßnd auch
wegen der vielen Leiden seines Lebens um sein ewiges Heil. Dann aber
wankte sie zum Grabe Heinrichs ihres Gemahls und klagte ihm, das Haupt
zum Grabe geneigt, das Leid, welches ihr das Herz brach. Dass er der
Bitterkeit dieses Schmerzes entgangen und nun von dem grausamen Leide
fern die Freuden der Seligen geniesse, darum pries sie ihn glücklich. Sie
dagegen sei ihres letzten und liebsten Trostcs beraubt, der sie bisher bei
der Erinnerung an ihren Gemahl aufrecht erhalten habe, seit der geliebteste
ihrer Söhne, der Stolz ihres Alters, der Erde entrückt sei. „O mein
Gemahl," so lauteten ihre Worte, wie sie uns ihr Biograph mittheilt, "wie
viel glücklicher bist du doch als ich, dass du die Bitterkeit dieses Schmerzes
im Laufe deines irdischen Lebens nicht empfunden hast. Jetzt, wie ich
hoffe, freust du dich der ewigen Ruhe und nimmst an unsern Leiden nicht
Theil. S0 oft ich an den harten Tag deines Todes dachte, war dies der
einzige Trost, der mich wieder aufathmen liess, dass der geliebte Sohn noch
am Leben war, der durch Gestalt, Namen und Haltung deinem Bilde vor-
zugsweise glich."
An diesem Tage legte sie die Königlichen Gewänder ab und vertauschte
sie für immer mit Trauerkleidern; fortan wollte sie weltliche Lieder nicht
hören, bei Spielen nicht gegenwärtig sein; nur geistliche Gesänge, die
heilige Schrift und Erzählungen vom Leben heiliger Männer blieben ihre
Lust und Freude.
Wie ihr Leben von jetzt an allein dem Wohle und Gedeihen ihrer
Stiftungen gewidmet war, so weilte sie nirgends sovhäutig und gern, als in
Quedlinburg, wohin sie in höherem Alter noch ganz besonders der Umstand
zog, dass dort ihre Enkelin Mathilde Aebtissin geworden war, deren Aus-
bildung und Pflege natürlich einen Hauptgegenstand ihrer mütterlichen Für-
sorge ausmachen musste. Quedlinburg blieb ihre Heimath, welche sie nur
verliess, um auch andern ihrer Lieblingsorte, wie Nordhausen und Pölde,
die Freude ihres Besuches zu bereiten, und allen Lieben, die sich dort
aufhielten, ihre Wohlthaten zu spenden.
(Die Schrift ist ihren wesentlichen Theilen nach nicht aus Heinrichs des Zweiten,
sondern aus Ottos des Dritten Zeit, wie aus der Göttinger Handschrift hervorgeht,
welche durch den Herrn Geh. Rath Pertz in den Monumm. Germ. XII, p. 572 ff.
gedruckt ist, wo dieselbe Geschichte noch einfacher erzählt wird.)
a. O. p. 935 seq.