III.
Die Bilderhar
xdscl
xrift der
Eneidt.
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war, während der wilden Kämpfe des früheren Mittelalters, die Ausübung
dieser Kunst, waren die ältest christlichen Typen erhalten und nachmals
dem germanischen Occident eingeimpft worden. Aber es war nur eine leere,
todte Schale. Wie ein müssiges Ornament, wie ein willkürlich zu deu-
tendes Symbol erscheinen uns diese Gebilde; wir können fast nur durch
gelehrte Conjecturen und Combinationen auf die grossartigen AbSiChtcI! dßY
ursprünglichen Erfinder schliessen. Der Sinn für Formenschüilheit War
dabei fast gänzlich verloren.
Erst in der Zeit, von der ich spreche, beleben sich diese Gebilde aufs
Neue. Gesellige Zustände und Handlungen, Affekte und Leidenschaften
bestrebt man sich wiederum auszudrücken und es gelingt häufig, in Betracht
der sehr geringen Kunstmittel, auf eine wohlverständliche Weise. Diese
Kunstmittgl freilich, und nicht etwa unsre heutige Bildung, müssen wir im
Auge behalten, wenn wir die Bestrebungen jener alten Künstler genügend
würdigen wollen. Der wesentlichste Einfluss auf diese erste Erneuerung der
Malerei ist der erwachenden nationalen Poesie zuzuschreiben. Während in
den Kirchen byzantinischen Styles, bis zur vollständigen Einführung des
gothischen, die byzantinische Malweise beibehalten ward, während dieselbe
überhaupt an den kirchlichen, traditionell überlieferten Darstellungen länger
haften musste, linden wir eine ungleich grössere Freiheit bereits in den
Bildern, welche die ältesten Handschriften deutscher Gedichte begleiten.
Ich führe dich in die einsame Zelle eines oberbairischen Benediktiner-
Klosters. Ein reicher Mann hat bei dem Kloster, wie dergleichen oft ge-
schah, eine Abschrift der Eneidt (Aeneide) des Heinrich von Veldek bestellt;
er wünscht dieselbe, zur eignen Ergützung und Erbauung, reibh mit Dar-
stellungen und Verbildlichungen des Inhalts ausgeschmückt zu sehen. Ein
wohlgeübter Bruder Schreiber ist vom Prior mit der Abschrift beauftragt,
der Bruder Maler versucht sein Glück an den Bildern. Letzterer ist in der
alten Schule gebildet. Vielleicht hat er Einiges von den prachtvollen Bil-
derhandschriften gesehen, die Kaiser Heinrich Il. ltochheiligen Andenkens
dem Domstifte von Bamberg verehrt t), und die, wie es scheint, von grie-
chischen Künstlern ausgeführt sind. Dies sind freilich, der sauberstcn Pin-
selführung zum Trotz, keine sonderlichen Vorbilder für aufstrebende Ta-
lente; die grauenvollen Ungeheuer, welche darin den Namen menschlicher
Gestalten führen, können nur dazu dienen, den wenigen guten Geschmack,
Welchen man allenfalls hinzubrachte, zu verderben. So mag es eben hier
geschehen sein. Unser Maler zeigt von Hause aus überhaupt wenig Talent
für die Form, und einzelnes direkt Krüppelhafte erinnert bedeutend an
jene Bamberger Musterbilder. Aber um so interessanter ist es, wie der
Maler sich mit diesen mangelhaften Mitteln zu behelfen weiss, um doch
seine Gedanken und Gefühle klar und verständlich auszudrücken, klarer
und verständlicher, als es in den meisten, zum 'I'heil besser gezeichneten
Werken seiner mitstrebenden Zeitgenossen gefunden wird.
Zunächst finden wir, wenn wir in sein buntes Buch hineinschauen, dass
er von seinem einsamen Fensterlein aus sich die reiche Fülle der Erschei-
nungen gar sorglich besehaut und seinem Gedächtnisse eingeprägt hat. Wir
finden Burgen und Schule dargestellt, Bäume und 'l'hiere, Zelte und I-Iäuser,
Gerathe aller Art und Leute allen Standes und Geschlechtes in mannig-
1) Jetzt in
der
Münchner
Bibliothek
befindlich