VOLI
Werinher
Tegernsee
Gtß.
des gekreuzigten Heilandes entsprechend. So dürften auch ein Paar Stellen
des Textes zu beachten sein, in denen das Gerücht personificirt gedacht
wird, z. B.:
Das Märe da Federn gewann
Von der Frauen wohlgethan,
Weit flog es durch die Gassen.
Auch diese deuten auf das mehrfach vorkommende Uebertragen antiker
Anschauungen in die Kunst des Mittelalters. e
Vergleichen wir nun diese Bilder mit andern gleichzeitigen.Miniaturen,
S0 finden wir dieselbe Manier, die Gegenstände in verschiedenfarbigen
Umrissen auf gefärbtem Grunde darzustellen, auch in mehreren andern,
in Handschriften enthaltenen Bildern. Ausser einigen Büchern heiligen In-
halts, die mir früher zu Gesichte gekommen, ausser einer englischen Hand-
schrift, von deren Bildern Dibdin einige leider zu flüchtige Umrisse mitge-
thcilt hat i) und ausser der oben erwähnten, von Günthncr für ein Werk
des Werinher gehaltenen Biblia pauperum, nenne ich hier besonders Jene
schon erwähnte Handschrift einer oberdentschen Bearbeitung der Eneidt des
H. von Veldeck auf der königl. Bibliothek zu Berlin 2), deren sehr zahl-
reiche Miniaturen ganz auf dieselbe Weise verfertigt sind, und in denen
sich dieselbe stylisirte, ornamentartige Darstellung der Bäumc, hier auch
der öfters vorkommenden Thiere, zeigt? Auch- möchte noch eine Hand-
schrift, welche auf derselben Bibliothek sich befindet und Legenden
und andre Schriften theologischen Inhalts, zuletzt die Paraphrase des H0-
hcnliedes von Willeram enthält 3), hieher zu rechnen sein; denn wenn in
den Miniaturen dieser letzteren jener farbige Grund noch fehlt, so scheinen
diese Bilder nur unvollendet (wie auch einige derselben noch gänzlich
fehlen). Auf dem dritten Blatte dieser Handschrift, vor dem Anfang des
Textes, steht folgende, nach der Form der Buchstaben gleichzeitige Notiz:
„Hz'c liber est Gotsoalci de Lambacltu 4).
Dies berechtigt uns vielleicht, eine cigenthiimliche oberdcutsche Schule
anzunehmen, deren Hauptmoment jene typisch festgestellte, stylisirte Manier
der Darstellung, wohin im weiteren Sinne auch der farbige, tcppichähnliche
Grund gehört, sein würde 5). Im llortus dcliciarum der Hcrrad und in den
Zeichnungen der erwähnten Heidelberger Handschrift vom Gedicht des
Pfatfen Chunrat, wo diese Stylisirung in den Ncbendingen fehlt und freiere
aber ganz unsichere Formen eintreten, wurde sich sodann vielleicht ein
eigenthümlichcr rheinischer Styl zeigen.
Ob diese Meinung sich weiter wird begründen lassen, und welche Be-
deutung diese verschiedenen Schulen in der Kunstgeschichte des Mittelal-
ters haben mögen, dürfte sich freilich erst bei fortgesetzten Studien über
diesen Gegenstand ergeben. w,
1) Dibdin, Bibll. Decumeron 1. f. d. p. LXXVIII. f. 2) Ms. Germ.fol.
Nro. 282. Vergl. die folgende Abhandlung. 3) Ms. theol. lat. quart. Nro. 140.
Vergl. oben S. 7, 10. 4) Lambach ist ein ehemals bairischer, jetzt österreichischer
Ort. 5) Unabhängig von dieser Manier bleibt die Freiheit des Gedankens und
der Erlinduug, welche oben beim Werinher gerühmt wurde.