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und
Berichte
Kritiken
Vergleiche dieses Gebäudes mit anderen wenigstens zweifelhaft erscheinen
muss. Referent ist, soviel ihm bekannt, der erste, welcher diese Meinung
angefochten und das Gebäude, wie oben angedeutet, der Uebergangsperiode
aus dem byzantinischen in den gothischen Styl (also der Zeit etwa um das
Jahr 1'200) zugeschrieben hatt). Der Herausgeber spricht vor der Hand
keine bestimmte Meinung über diesen Punkt aus, indem er sich eine nähere
Entscheidung für die allgemeinen artistischen Bemerkungen am Schlusse
seines Werkes vorbehält; aus der Art und Weise jedoch, wie er die Gründe
für die eine und für die andre Ansicht zusammenstellt, scheint es hervor-
zugehen, dass er sich schon gegenwärtig jener älteren Ansicht zuneige. Da
er indess auch die eben angeführten Notizen des Referenten über die Kirche
von Memleben unter den von ihm berücksichtigten Schriften nennt, so darf
es diesem wohl gestattet sein, die Gründe, welche der Herausgeber zur
nochmaligen Unterstützung jener älteren Meinung aufstellt, in eine nähere
Erwägung zu ziehen.
Der Herausgeber spricht von dem Reichthum der Abtei zu Ende des
zehnten und von dem Zustande des Verfalls und der Verarmung zu An-
fange des dreizehnten Jahrhunderts; letzterer lasse es nicht glaublich er-
scheinen, dass man damals einen so bedeutenden Bau werde unternommen
haben. Wir hören aber erst im Jahre 1'250 von einer Verschuldung des
Klosters (der einzelne Güterverkauf im Jahre 1202 ist an sich noch kein
ausgesprochener Beweis dafür), und die vom Herausgeber aufgestellte Ver-
muthung, dass die im Jahre 1015 angeführte Verarmung (auch wenn diese
als gänzlich unzweifelhaft angenommen wird) bis in die traurige Zeit des
dreizehnten Jahrhunderts fortgedauert habe, kann, in Ermangelung all und
jeder besonderen Nachricht für diese Zwischenzeit, nur als eine willkür-
liche Annahme gelten. Alles dies macht somit die Möglichkeit, dass die
Kirche um die Zeit des Jahres 1200 erbaut worden sei, keinesweges un-
wahrscheinlich; im Gegentheil dürfte man die Ausgaben, die ein solcher
Bau veranlasst, wohl mit als einen Grund der später ausgesprochenen Ver-
schuldung betrachten können.
Der Herausgeber spricht ferner, im Gegensatz gegen die, auch ihm be-
fremdlich crscheinenden Motive des gothischen Baustyles, von den Eigen-
thümlichkeiten der Crypta, die ihm als der Rest einer nfrühen Vorzeit"
erscheint; er würde geneigt sein, sie für älter zu halten, als das übrige
Gebäude, wenn nicht wiederum verschiedene Details die entschiedenste
Verwandtschaft mit jenem erkennen liessen. Letzteres ist ohne Zweifel
richtig. Aber wir haben schon oben bemerkt, dass die Crypta keineswegs
das Gepräge einer besonders alterthümlichen, sondern vielmehr der spätesten
Entwickelung des byzantinischen Styles, eben jener Periode, die dem go-
thischen Baustyle zunächst vorangeht, trägt. Sie ist (nicht minder wie das
ganze übrige Gebäude) aufs Bestimmteste abweichend von denjenigen Bau-
werken, deren Erbauungszeit mit Sicherheit der Periode des Jahres 1000
angehört, wie z. B. von den alten Theilen der Stiftskirche zu Quedlinburg
und deren Crypta; und doch müsste man gerade voraussetzen, dass sie
mit der Quedlinburger Kirche, die sich ebenso, wie die von Memleben der
besonderen Begünstigungen der sächsischen Kaiser erfreute, in Bezug auf
den Geist und Charakter der architektonischen Formen die nächste Ver-
wandtschaft zeigen würde.
Vergl.
oben,
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