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Kritiken.
und
B erichte
sind auf den Einfluss italienischer Kunst gedeutet worden; doch dürfte
eine solche Ansicht sehr problematisch sein, da bisher, bei den sorglich-
sten Kunstforschungen, in Italien vor der Zeit des Nicole Pisano (und im
spätesten Fall wären die Wechselburger Sculpturen mit dessen frühesten
Jugendarbeiten gleichzeitig) noch nichts, was irgend eine namhafte Bedeu-
tung hätte, an's Licht getreten ist 1). Und was ein specielles Studium der
Antike anbetrifft, so befanden sich auch in jener frühen Zeit einzelne Werke
derselben in Deutschland, welche immerhin wenigstens geeignet sein konn-
ten, den Sinn strebsamer und hochbegabter Künstler auf eine würdige
Bahn zu leiten; um nur Ein Beispiel anzuführen, so sieht man noch gegen-
wärtig an einem Reliquienkasten im Zitter der Stiftskirche zu Quedlinburg,
dessen Anfertigung um das Jahr 1200 durch eine Inschrift feststeht, einen
grossen, in Amethyst geschnittenen antiken Bacchuskopf angebracht, der,
gegenwärtig zwar etwas beschädigt, gewiss schon im Stande sein durfte,
zu einer classischen Auffassung der Naturformen Anlass zu geben.
So treten denn die in Rede stehenden Lieferungen des Puttrichscheir
Werkes als ein sehr wichtiger und gewiss folgereicher Beitrag in die Wissen-
schaft der deutschen Kunstgeschichte hinein. Auch in den Fortsetzungen
haben wir ähnlich bedeutsame Mittheilungen zu erwarten. Bereits für das
nächste Heft der ersten Abtheilung verspricht der Herausgeber Darstellungen
der goldnen Pforte zu Freyberg und der an ihr vorhandenen Sculpturen,
welche mit denen der Kirche zu Wcchselburg eine auffallende Verwand-
schaft haben. Referent hat bereits das Vergnügen gehabt, einige dieser
Blätter zu sehen, die nicht minder anziehende Darstellungen enthalten und
der Gesammterscheinung des Heftes mit Begierde entgegensehen lassen.
In den folgenden Heften der zweiten Abtheilung wird die Domkirche von
Naumburg behandelt werden. Auch die hierauf bezüglichen Blätter hatte
der Herausgeber die Güte dem Referenten mitzutheilen; wie die archi-
tektonischen Thcile dieses interessanten Bauwerkes, so sind namentlich
die dort befindlichen berühmten Statuen aus der Periode des entwickelten
germanischen Styles in diesen Zeichnungen mit einer Vollendung und
Treue dargestellt, welche allen Ansprüchen Genüge leistet und somit auch
hier die reichsten Beiträge zur Geschichte der Vaterländischen Kunst ver-
hcisst. Ueberhaupt sind die Sammlungen des Herausgebers gegenwärtig zu
einem solchen Reichthum angewachsen, dass wir der schönsten Vollendung
seiner grossartigen Unternehmungen entgegensehen dürfen.
1) Auch die, noch nicht genügend gewürdigte Statue des Kaiser Friedrich Il.
(reg. von 1215-1250), welche_sich zu Gapna, in einer Nische neben dem römi-
schen Thore, beündet, ist bestimmt nicht älter als die Wechselburger Arbeiten.
Auch sie hat in der Gesamrntanlage, in der ruhig steifen Stellung der Beine, in
der Behandlung des Faltenwnrfes, noch immer viel Byzantinisches, obgleich die
Auffassung ebenfalls schon von einer schönen, lebendigen Freiheit, mit ähnlichem
Eingehen auf das Vorbild der Antike, zeugt. Die Brnstpartie ist namentlich sehr
gut ausgeführt, Kopf und Hände" sind leider nicht mehr vorhanden.