Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

Denkmals 
der 
Mittelalters 
Baukunst des 
Sachsen. 
473 
zwölften Jahrhunderts, angehören; auch tritt noch nirgend das Gepräge der 
neuen Kunstiveise, welche sich im Verlauf des dreizehnten Jahrhunderte, 
in Deutschland verbreitete, mit Entschiedenheit hervor. Kein namhaftes, 
der gothischen Architektur angehöfiges luotiv in den ursprünglichen Theilen 
des Gebäudes, kein bestimmtes Motiv des verwandten bildnerischen Styles, 
den man (wie auch die gothische Architektur) als den germanischen zu 
bezeichnen begonnen hat, in den Sculpturen; oder wenn in diesen etwas 
von dessen weieherer Bildungsweise hervortritt, so zeigt es sich doch 
augenscheinlich, dass dies unmittelbar aus dem subjektiven Gefühle des 
Künstlers, nicht durch ein neues, abweichendes Gesetz, hervorgebracht ist. 
Wenigstens kann dergleichen nur als der Beginn eines noch unwillkürlichen 
Ueberganges zu den nach dieser Zeit hervortretenden neuen Richtungen in 
Leben und Kunst betrachtet werden. Vielmehr ist das Element, in welchem 
sich diese Scnlptnren bewegen, vorherrschend noch das der byzantinischen 
Kunst, aber die Motive derselben sind durchweg (nur mit Ausnahme des 
noch in Etwas mehr alterthümlichen Christusbildes an der Kanzel) mit 
einer so lebendigen Freiheit benutzt, mit einem so lauteren Gefühle flllsge" 
bildet, dass in der That schon ein geübtes Auge dazu gehört, um immer 
noch den byzantinischen Charakter durchblicken zu sehen. In mehreren 
Partiecn ist sodann auch (wie in der italienischen Kunst des dreizehnten 
Jahrhunderts) der byzantinische Typus mit grösstem Glück auf seine 
ursprüngliche Quelle, auf die Bildungsweise des classischen Alterthumes, 
zurückgeführt, ja dies geht soweit, dass man im Einzelnen direkte Studien 
nach der Antike voraussetzen möchte, obgleich wohl nirgend das eigen- 
thümliche Gepräge christlicher Auffassung vermisst wird. Vor Allen triiil 
diese Bemerkung jene beiden höchst schönen Halbiiguren des Abel und 
Cain; der Herausgeber bezeichnet den Kopf des ersteren, seiner Formen- 
bildung nach, geradezu als einen "wahren Niobekopf" i). 
Sind nun diese Umstände allerdings zwar im höchsten Grade über- 
raschend, so findet sich doch nichts in ihnen, was die angenommene Zeit 
der Anfertigung verdächtigen könnte. Höchstens dürfen wir dieselbe, wenn 
wir auf die äussereii, jedoch wahrscheinlichen Umstände keine Rücksicht 
nehmen, bis in die ersten Jahrzehnte des '13. Jahrhunderts oder etwa bis 
gegen dessen Mitte hinabsetzen. Schon mehrfach ist in neuster Zeit  
und Referent hat in diesen Blättern das Seinige dazu beigetragen  auf 
eine namhafte Anzahl von Werken bildender Kunst in Deutschland auf- 
merksam gemacht worden, welche sämmtlich der Periode um den Anfang 
des 13. Jahrhunderts angehören und in denen sich ebenso die Anzeichen 
eines ähnlich bedeutsamen Aufschwunges der Kunst, in derselben Richtung 
wie bei den Weehselburger Sculpturen, kund geben, wenn freilich die 
letzteren bis jetzt alles Andre noch weit überragen. Den Bildungsgang 
der Künstler, welche diese Sculpturen angefemgt, nachzuweisen, möchte 
indese bei dem gegenwärtigen Stande der Kunstgeschichte noch immer seine 
grossen Schwierigkeiten haben. Die direkten Erinnerungen an die Antike 
v  Vielleicht dürfte sich eine Gelegenheit finden, die Köpfe des Abel und 
Qain in Gyps abformen zu lassen. Gewiss würde durch eine Verbreitung solche;- 
(iypsabgiisse, für die es auf keine Weise an Abnehmern fehlen kann den Freun- 
den mittelalterlicher Kunst ein werther Dienst geleistet werden, indem natiirlivh 
im Abgnss das Wesen des plastischen Kunstwerkes ungleich klarer erkannt wei- 
den muss, als in einer kleinen Zeichnung. 
	        
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