Denkmals
der
Mittelalters
Baukunst des
Sachsen.
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zwölften Jahrhunderts, angehören; auch tritt noch nirgend das Gepräge der
neuen Kunstiveise, welche sich im Verlauf des dreizehnten Jahrhunderte,
in Deutschland verbreitete, mit Entschiedenheit hervor. Kein namhaftes,
der gothischen Architektur angehöfiges luotiv in den ursprünglichen Theilen
des Gebäudes, kein bestimmtes Motiv des verwandten bildnerischen Styles,
den man (wie auch die gothische Architektur) als den germanischen zu
bezeichnen begonnen hat, in den Sculpturen; oder wenn in diesen etwas
von dessen weieherer Bildungsweise hervortritt, so zeigt es sich doch
augenscheinlich, dass dies unmittelbar aus dem subjektiven Gefühle des
Künstlers, nicht durch ein neues, abweichendes Gesetz, hervorgebracht ist.
Wenigstens kann dergleichen nur als der Beginn eines noch unwillkürlichen
Ueberganges zu den nach dieser Zeit hervortretenden neuen Richtungen in
Leben und Kunst betrachtet werden. Vielmehr ist das Element, in welchem
sich diese Scnlptnren bewegen, vorherrschend noch das der byzantinischen
Kunst, aber die Motive derselben sind durchweg (nur mit Ausnahme des
noch in Etwas mehr alterthümlichen Christusbildes an der Kanzel) mit
einer so lebendigen Freiheit benutzt, mit einem so lauteren Gefühle flllsge"
bildet, dass in der That schon ein geübtes Auge dazu gehört, um immer
noch den byzantinischen Charakter durchblicken zu sehen. In mehreren
Partiecn ist sodann auch (wie in der italienischen Kunst des dreizehnten
Jahrhunderts) der byzantinische Typus mit grösstem Glück auf seine
ursprüngliche Quelle, auf die Bildungsweise des classischen Alterthumes,
zurückgeführt, ja dies geht soweit, dass man im Einzelnen direkte Studien
nach der Antike voraussetzen möchte, obgleich wohl nirgend das eigen-
thümliche Gepräge christlicher Auffassung vermisst wird. Vor Allen triiil
diese Bemerkung jene beiden höchst schönen Halbiiguren des Abel und
Cain; der Herausgeber bezeichnet den Kopf des ersteren, seiner Formen-
bildung nach, geradezu als einen "wahren Niobekopf" i).
Sind nun diese Umstände allerdings zwar im höchsten Grade über-
raschend, so findet sich doch nichts in ihnen, was die angenommene Zeit
der Anfertigung verdächtigen könnte. Höchstens dürfen wir dieselbe, wenn
wir auf die äussereii, jedoch wahrscheinlichen Umstände keine Rücksicht
nehmen, bis in die ersten Jahrzehnte des '13. Jahrhunderts oder etwa bis
gegen dessen Mitte hinabsetzen. Schon mehrfach ist in neuster Zeit
und Referent hat in diesen Blättern das Seinige dazu beigetragen auf
eine namhafte Anzahl von Werken bildender Kunst in Deutschland auf-
merksam gemacht worden, welche sämmtlich der Periode um den Anfang
des 13. Jahrhunderts angehören und in denen sich ebenso die Anzeichen
eines ähnlich bedeutsamen Aufschwunges der Kunst, in derselben Richtung
wie bei den Weehselburger Sculpturen, kund geben, wenn freilich die
letzteren bis jetzt alles Andre noch weit überragen. Den Bildungsgang
der Künstler, welche diese Sculpturen angefemgt, nachzuweisen, möchte
indese bei dem gegenwärtigen Stande der Kunstgeschichte noch immer seine
grossen Schwierigkeiten haben. Die direkten Erinnerungen an die Antike
v Vielleicht dürfte sich eine Gelegenheit finden, die Köpfe des Abel und
Qain in Gyps abformen zu lassen. Gewiss würde durch eine Verbreitung solche;-
(iypsabgiisse, für die es auf keine Weise an Abnehmern fehlen kann den Freun-
den mittelalterlicher Kunst ein werther Dienst geleistet werden, indem natiirlivh
im Abgnss das Wesen des plastischen Kunstwerkes ungleich klarer erkannt wei-
den muss, als in einer kleinen Zeichnung.