Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

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Berichte 
und 
Kritiken. 
hier eine ausserordentliche Schönheit und Einfalt der Linienführung, welche 
den wohlthuendsten Eindruck auf das Auge des Beschauers hervorbringt; 
die Gestalt, welche der Herausgeber als Samuel benennt, trägt einen Mantel, 
dessen Faltenwurf an die reiflichst durchdachten Formen der antiken Toga 
erinnert, und doch ist in der Bewegung der Gestalt eine Milde, welche nur 
in den Werken christlicher Kunst gefunden wird; der jugendliche König 
neben ihm (Salomo) trägt das Gepräge der holdesten Naivetät. Endlich 
beündensich unterwärts, in den Ecken über den untersten Bögen, noch 
ein Paar Brustbilder, die wiederum, und vornehmlich das eine, den lie- 
benswürdigsten Styl erkennen lassen. Der Herausgeber erklärt sie als 
Engel, und in der That dürften die Scepter-artigen Stäbe, die sie in den 
Händen tragen (analog der älteren Darstellungsweise, welche die Engel 
stets als Boten charakterisirt), obgleich den Figuren die Flügel fehlen, 
diese Erklärung rechtfertigen; doch ist es bei dieser Deutung auffallend, 
dass gleichwohl die am Oruciiix dargestellten Engel mit Flügeln versehen 
sind; ausserdem tragen die Figuren Heiligenscheine (die übrigens den 
Engeln häutig auch zukommen), und es dürfte die Frage sein, ob hier 
nicht vielleicht ein Paar heiliger Schutzpatrone des Altares dargestellt sein 
möchten, was freilich mit dem Gesammtcyklus der Altartiguren nicht recht 
zu stimmen scheint. 
Am Eingangs zum Altarraum, an den Eckpfeilern, welche denselben 
vom Querschiii sondern, stehen in geringer Höhe über dem Boden noch 
zwei Statuen, beide wiederum von vortrefflicher, grossartiger Arbeit. Die 
eine stellt einen Krieger, in beinahe antikem, römischem Kostüm, die andre, 
wie es scheint, einen Priester in weiter feierlicher Gewandung, mit einem 
Scepter in der Hand, aber ohne die besonderen Abzeichen christlichen 
Rituals, dar. Der Herausgeber vermuthet in jenem das Bildniss des Grün- 
ders der Kirche, in diesem das desjenigen Geistlichen, welcher die Ein- 
weihung vollzog. Dieser Ansicht kann Referent nicht wohl beistimmen. 
Bei Portraitdarstellungen würde man gewiss, wie es aus allen sicheren 
Beispielen der Art hervorgeht, das Kostüm der Zeit beobachtet, gewiss 
nicht eine ideale Behandlung angewandt haben. Es dürfte sich vielmehr- 
als wahrscheinlich herausstellen, dass auch diese Statuen zu dem Bilder- 
cyklus des Altares in einer besondern Beziehung stehen, und ihrer Eigen- 
thümlichkeit gemäss, sowie in Rücksicht auf die dort dargestellten Figuren 
des alten Testaments, möchte man hier am Besten auf die Personen des 
Josua und Aaron rathen können. Wichtig ist noch der Umstand, dass beide 
Statuen mit den Pfeilern, an welche sie sich anlehnen, aus Einem Stück 
gearbeitet, also gleichzeitig mit dem Bau der Kirche sind, was sodann auch 
einen ähnlichen Schluss für die übrigen, im Styl Vollkommen verwandten 
Sculpturen erlaubt. 
Endlich ist noch des Grabsteines zu erwähnen, Welcher die Bildnisse 
des Stifters der Kirche, des Grafen Dedo IV. (st. 1190), der als solcher 
durch das Modell der Kirche in seinem rechten Arme bezeichnet wird, 
und seiner Gemahlin enthält. Beide Figuren tragen das Gepräge desselben 
Styles, wie die übrigen vorhandenen Sculpturen, auch ist die Gewandung 
an ihnen wohl verstanden; doch erscheint letztere (wenigstens in der Zeich- 
nung) auf eine mehr wulstige Weise ausgeführt. 
Alle äusseren Umstände scheinen hier darauf hinzudeuten, dass die 
sämmtlichen so eben besprochenen Sculpturen, sowie auch das Gebäude 
selbst, einer und derselben Periode, und zwar der um den Schluss des
	        
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