470
und
Berichte
Kritiken.
Erklärer (besonders nach dem Vorgange des Herrn von Hammer) in diesen
phantastischen Darstellungen eine besondere Geheimschrift, in näherem
oder fernerem Bezug auf gnostische Mysterien, vermuthet und nachzuweisen
sich bemüht haben, eine Autfassungsweise, die freilich nur unter
Voraussetzung der vorsichtigsten und unbefangensten Nachforschungen
vielleicht ebenfalls zu allgemeineren Resultaten führen könnte.
Wichtiger indess, wie durch ihre Architektur und die mit derselben ver-
bundenen Zierraten ist die Kirche von WVechselburg dadurch, dass sie
gewiss ein höchst seltenes Beispiel ! noch die ursprüngliche Kanzel und
den Schmuck des Hochaltares, beides, wie die Kirche selbst, im spät-
byzantinischen Style und mit den merkwürdigsten, ihrer Errichtung gleich-
zeitigen Sandsteinsculpturen versehen, besitzt 1). Die Gesammtanordnung
beider, sowie einzelne ihrer Sculpturen waren bereits im ersten Hefte mit-
getheilt; im zweiten finden sich die übrigen von diesen Sculpturen darge-
stellt und, nach Zeichnungen von Geyser jun., von verschiedenen Münchner
Künstlern lithographirt. Wir wollen hier, ohne aufs Neue auf die interes-
sante architektonische Gestaltung beider Hauptgegenstände einzugehen, nur
eine tlüchtige Uebersicht der an ihnen vorhandenen Sculpturen, welche
meist aus Hautreliefs, zum Theil aus freien Statuen, bestehen, geben. An
der Kanzel ist vornehmlich die Brüstung reich damit verziert. In der Mitte
der Vorderseite die Gestalt des thronenden Erlösers, als Weltenrichters,
in dem alterthümlich hergebrachten byzantinischen Typus, dessen Motive
aber mit geistreicher Freiheit benutzt sind; um ihn her die vier Symbole
der Evangelisten. Zu seinen Seiten, an den schmalen Eckfeldern, die
Gestalten der Maria und des Täufers Johannes, der Fürbitter am Tage des
Gerichtes, beide stehend und die Hände in tlehender Geberde emporgehoben;
der Faltenwurf der Gewandung bei beiden von vorzüglicher Schönheit und
in grossen edlen Linien angeordnet. An der einen Seitenwand sieht man
das Wunder der ehernen Schlange, an der andern das Opfer Abrahams
dargestellt, letzteres der Oomposition nach ganz in der Weise wie an den
ältestchristlichen Sarkophagsculpturen, zugleich aber, wenigstens in der
Gestalt des Abraham, in einer eigenthümlich grossartigen Weise belebt.
Beide Darstellungen deuten, nach jener altchristlichen Symbolik, welche
sich das gesammte Mittelalter hindurch erhalten hat, auf den Opfertod
des Erlösers und schliessen sich dem Mittelbilde somit, wie die Ver-
heissung der Erfüllung an. Doch scheint dieser Cyklus noch eine grössere
Ausdehnung gehabt zu haben; wenigstens finden sich an der Unterwand
unter der Darstellung der ehernen Schlange noch die beiden Halbfiguren
(das Untertheil derselben ist beschädigt) von Abel und Cain, beide von
einer vorzüglichen Schönheit und geistreichen Charakteristik. Sie waren
bereits in der ersten Lieferung in einem etwas grösseren Massstabe abge-
bildet (sind auch bei der Gelegenheit von uns schon näher besprochen
worden).
Von ähnlicher Vorzüglichkeit, wcnnschon den eben genannten Halb-
liguren nicht ganz am Werthe gleich, sind sodann die Sculpturen, welche
den reichen Bau des Hochaltares schmücken. Diese bieten noch das eigen-
In der alten Liebfrauenkirche zu Halberstadt befinden sich, zu Anfange
des Chores, zwei niedrige, im byzantinischen Geschmack verzierte Mauerbrüstungen,
welche unstreitig ebenfalls als die alten Kanzeln (deren man ursprünglich zwei.
für das Evangelium und für die Epistel, bedurfte) zu betrachten sind. Andre
Beispiele sind dem Referenten in Deutschland nicht bekannt.