Ueber
das
ueuerworbelne Gemälde
des
del Sarto etc.
Andrea.
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einen Kopf voll strengen feurigen Ernstes, Benedict höchste, feierliche
Würde und Milde; Onuphrius, _der im Vorgrunde kniet, ist eine sehr
eigenthümliche Erscheinung. Ernst, 891116111 phantastischen Einsiedlerleben
gemäss, nackt dargestellt, mit einem Blätterkranze umgürtet; die strengen
ascetisclien Formen des Körpers, der Zur Madonna emporgewandte Kopf,
die Wim. hemiederiiäiigeiiden grauen Locken, alles dies bildet eine Sei"
anziehende Persönlichkeit, die um so ergreifender wirkt, als hier Alles
mit höchster Dieisterschaft gemalt ist. Anders verhält es sich bei den
anderen Figuren, Antonius, auf der rechten Seite, steht zwar in lebeii-
vollcr Geberde da, aber sein Gesicht ist ohne den Ausdruck des innerlichen
Alfektes, den zu erwarten man gerade bei der Darstellung dieses Heiligen
berechtigt sein dürfte. Catharina, welche dem Onuphrius entsprechend im
Vm-ginnde kniet und deren Stellung eine ilemüthige Hingebung anzudeuteii
scheint, ist im Ausdrucke ziemlich gleichgültig und nüchtern. Die Madonna
ebenso, wennschon ihr Gesicht in edlen Zügen gezeichnet ist. Das Christ-
kind, das in lebhafter Bewegung die Mutter umfasst, ist sogar Von einer
unangenehmen Nüchternheit des Ausdruckes und überdiess von kalter
trockner Färbung. Die Halbiigur des heiligen Celsus, die sich überhaupt
in der ganzen Zeichnung nicht angenehm macht, lässt deinBcschauer kalt;
die der heiligen Julia dagegen spricht durch eine lebendige Naivetät des
Ausdruckes an, obgleich gerade hier das Charakteristische 111 den Ziigen
ihres Gesichts (in deren Motiven man Andrea's stetes Vorbild, seine Gemali-
lin Lncrezia, wiedererkannt) eines gewissen höheren Adels entbehrt.
,Ich sehe mich hier, um nicht missverstanden zu werden, zu eiiißr
Bemerkung über jene Anforderung an den Ausdruck in diesen Gestalten
veranlasst. Es wäre unbillig, überall in den Köpfen heiliger Figuren beson_
ilere religiöse Empfindungen, ein vorzugsweise geheiligtes Gemüthsleben
dargestellt zu verlangen: bei dem Mangel eines solchen trägt minder der
Künstler die Schuld, als seine Zeit, welche ihn mit Aufträgen, die seiner
Eigenthümlichkeit vielleicht nicht ganz angemessen waren, beschäftigte. Zu
jener Zeit wurden eben vorzugsweise Gemälde für kirchliche Zwecke ver-
langt und es steht a priori schon nicht zu erwarten, dass alle Maler solcher
Kirchenbilder vorzugsweise eine kirchlich religiöse Richtung gehabt haben
sollten. Im Gegentheil ist diese Richtung die ganze Zeit der katholischen
Malerei hindurch sogar selten, und Maler wie Fiesole und Perngino, bei
denen sieh dieselbe mit Entschiedenheit zeigt, stehen ziemlich vereinzelt
da; ja, in ihren NVerkcn tritt diese Richtung wiederum einseitig hervor,
und jener Ausdruck eines männlichen, im Kampf mit dem Leben errungenen
religiösen Bewustseins findet noch seltner im Bilde sein entsprechendes
Gepräge, wie auch nur wenige unter den Werken, die aus RaphaePs Atelier
liei-voi-gegnngen sind, ein solches tragen. Um billig zu urtheilcn, müssen
wii- demnach im Allgemeinen nicht sowohl nach dem kirchlich erbau-
liehen Eindruck dieser Altargemälde, nicht nach dem orthodoxen Sinne
des Malers, nach dem Ausdrucke der Heiligungin seinen heiligen Gestalten
fragen, sondern nur danach, ob überhaupt ein seelenhaftes Element, ob
Geist und Gemiiiii in ihnen lebt, ob die Fähigkeit zur Begeisterung aus
ihnen spricht, ob sie uns als würdige Repräsentanten der Menschheit gegen-
über Stehen [u solchem Belange hat der grossere Theil z. B. von Masac-
ciofs, von Tizians, von "Rubens kirchlichen YVerken n. a. m. einen sehr
hohen wenn, und wir werden uns vor ihnen stets, wenn auch nicht in
Speziell kirchlicher, so doch in allgemein menschlicher Weise erbaut finden.